Dunera

„Wie sich das Fliehen anhört“

Erfolgreiche Premiere von „Der Reisende“ als musikalisches Melodram in Dresden

„Der Reisende“ als musikalisches Melodram hatte Premiere in Dresden. Fotos: Oliver Killig.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schlägt Michael Ernst einleitend einen bemerkenswerten historischen Bogen:
„Der 9. November ist ein Schicksalsdatum. 1848 wurde Robert Blum erschossen und endete die Märzrevolution, 1918 trat Kaiser Wilhelm II. zurück. Als Folge der Novemberrevolution und im Zuge der sich abzeichnenden Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg, 1923 scheiterte Hitlers Putsch in München gegen die Weimarer Republik, 15 Jahre später kam es unter seiner Macht zu Pogromen gegen alles Jüdische in Deutschland, 1989 schließlich fiel die Mauer. Das Zwiespältige dieses Datums schreibt sich fort: 2025 gab es in Halle einen fragwürdig als Büchermesse deklarierten ‚Seitenwechsel‘, in Dresden dagegen die Uraufführung eines Melodrams über den Holocaust.“

Am 9. November 2025 hatte das musikalische Melodram „Der Reisende“ nach dem Buch von Dunera Boy Ulrich Boschwitz Premiere der Dresdner Philharmonie im Dresdner Kulturpalast. Musik und Libretto schuf Jan Müller-Wieland. Als Sprecher des Ehepaares Silbermann traten Ulrich Noethen und Birgit Minichmayr auf, als Sänger standen Kangyoon Shine Lee (Tenor) und Michael Borth (Bariton) auf der Bühne. Es dirigierte Gergely Madaras.

Bemerkenswert ist, dass sowohl regionale als auch überregionale Zeitungen einhellig sehr beeindruckt, positiv und großflächig über die Uraufführung berichten. Die Rezensenten verbinden die sehr genau erfassten zeitgeschichtlichen Aspekte mit der Bewertung des künstlerischen Konzeptes und der Leistung aller Beteiligten.

„Die große Besetzung aus Chor, Orchester, Sprecher und Solisten (schafft) eine Atmosphäre ständiger Beunruhigung. … Kaum auszuhalten ist, wie der Protagonist Otto Silbermann (Ulrich Noethen) sich verzweifelt an einen letzten Rest von Normalität klammert“, erinnert Klara Prautzsch für die Dresdner Neuesten Nachrichten (11.11.) an die gelungene Vermittlung der beklemmenden Stimmung der Romanvorlage.

„Das Orchester ahmt die Hetze der Flucht nach, in Zuspielungen treten Zuggeräusche hinzu, atemloser Strudel“, charakterisiert Egbert Tholl in dem ganzseitigen Beitrag der Süddeutschen Zeitung (11.11.). Dass mehrere Rezensenten die Lichtregie (Alexander Hauer) hervorheben verweist auf eine Regie, die über das Bühnengeschehen hinausdachte.

In der Sächsischen Zeitung stellt Karsten Blüthgen am 12. November fest: „Das Publikum im Kulturpalast, im Schnitt jünger als sonst bei klassischen Konzerten hier, reagierte ergriffen, applaudierte nach 70 Minuten stehend“.

Dass Jan Müller-Wielands Konzept und Libretto vieles aus der Vorlage verknappt, ist kein Mangel, sondern wird als notwendige und gelungene Komprimierung gesehen.

Ulrich Boschwitz fiel im Alter von nur 27 Jahren der Versenkung der Abosso zum Opfer.

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„Minichmayr strahlt jedoch auch Standfestigkeit und Liebe aus – und macht deutlich, dass Elfriede felsenfest zu ihrem Mann steht.“ (Backstage Classical online über die Rolle der Ehefrau von Otto Silbermann).

„Jan Müller-Wielands Musik schärft das Bewusstsein für das Menschsein und zeigt, wie schnell moralische Grundsätze verloren gehen können“, schreibt Shoko Kuroe für Backstage Classical (online). Dort, in allen Berichten, wird aber immer darauf hingewiesen, dass das Stück auch gegen Resignation ankämpft. „Selbst in tiefster Not bleibt Raum für Menschlichkeit.“

Alle Rezensenten heben die Leistungen des Ensembles hervor. Die Dresdner Neuesten Nachrichten beobachteten „sein sichtlich ergriffenes Publikum“. Es „spürte, dass hier ein musikalisches Denkmal für alle Verfolgten und Ausgegrenzten gesetzt wurde“ (Backstage Classical).

Müller-Wielands „Komposition erreicht eine beklemmende Aktualität, sie beleuchtet die Breite menschlicher Erfahrungen zwischen Gewalt, Ausgrenzung, Diskriminierung, Rechtlosigkeit und der fortbestehenden Kraft von Hoffnung und Menschlichkeit – eine Mahnung und Forderung, die Vielfalt unserer Demokratie zu verteidigen. Eine Aufführung, die den Hörer bewegt und tief berührt in den Abend entlässt!“ schließt Bernd Runge seine Rezension (Der Opernfreund, online,11. November).

„Die Vermischung von konzertanter und theatraler Inszenierung macht das Stück auch zu einer zeitlosen Auseinandersetzung.“ (Dresdner Neueste Nachrichten)

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (12.11.) nimmt Michael Ernst den gesellschaftspolitischen Faden auf: „Eine breite Zivilgesellschaft (hat) bei der Vertreibung, Enteignung und Ermordung von Juden mitgewirkt. Die Erinnerung daran sollte auf kein Datum beschränkt sein.“

Selten genug sind Werke, die die „große“ Historie mit ihrer Wirkung auf die „kleinen“ Leute verbinden und dafür neue Formen finden, um das dem Publikum nahe zu bringen. Dem Wunsch von Egbert Tholl, dass die Dresdener Aufführung „nicht die einzige dieses Werks bleiben“ sollte, kann man sich nur anschließen. „Wie sich das Fliehen anhört“, so sein Titel, muss heute leider immer noch vernehmen, wer bereit ist, hinzuhören.

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