Sofort nach der Ankunft in Australien, im September 1940, wandten sich die Internierten aus Camp 3 in Tatura, die auf der Queen Mary aus Singapur nach Australien deportiert worden waren, an die Lagerkommandantur und, als dies nicht fruchtete, an die britische Militärverwaltung in Singapur. Sie hatten dem Transport nach Australien nur zugestimmt, weil ihnen in Singapur versichert wurde, sie stünden auch in Australien unter britischem Schutz und würden dort frei leben können. Statt dieser Schutzverpflichtung nachzukommen, wurden fast 300 Menschen ihrer Freiheit beraubt. Britische und australische Behörden verstiegen sich unterdessen in Zuständigkeitsfragen. Beide Briefe veröffentlichen wir hier im Volltext ohne die beiliegenden Unterschriftenlisten. Die Originaldokumente können in den Galerien eingesehen werden.
Paul Dehn, im Februar 2025.
Protest der Queen Mary-Internierten
Am 29. August 1940 hatte der für die Internierungen in der britischen Kronkolonie Malaya zuständige Secretary for Defence Dawson[1] Dawson an Knopf u.a. am 29.8.14940 in National Archiv Australien, NAA_ItemNumber358850, Seite 23. eine Petition von Erich Maximilian Knopf und anderen Internierten vom 6. August 1940 beantwortet. Er informiert sie, „dass sie nicht unter den Vorgaben der Defence Regulations wegen spezifischer Verstöße gegen die Verteidigungsgesetze der Kolonie verhaftet wurden und dass daher nicht vorgeschlagen wird, ihre Fälle vor ein Gericht zu bringen“.
Nach dem Transport mit der Queen Mary seit dem 25. September in Australien hinter dreifachem Stacheldraht weggesperrt, reagierte der Vertrauensmann der deutschen und österreichischen Queen Mary-Deportierten Gerhard Seefeld mit diesem Schreiben an den Kommandanten[2] Ebenda, Seiten 21/22. des Internierungslagers.

Brief der Internierten aus Tatura, Camp Nr. 3, an den Lagerkommandanten
Internierungslager, 29. September 1940.
An den Kommandanten des Internierungslagers.
Betreff: JÜDISCHE FLÜCHTLINGE.
Sir,
In meiner Eigenschaft als Line Captain möchte ich folgende Erklärung abgeben:
(1) Alle jüdischen Flüchtlinge, die zur Zeit in diesem Kriegsgefangenenlager festgehalten werden, waren gezwungen, Deutschland bzw. Österreich zu verlassen, um der Verfolgung durch das Naziregime zu entgehen. Viele von ihnen haben in den nur zu gut bekannten Konzentrationslagern in Deutschland schwer gelitten und den größten Teil ihres weltlichen Besitzes verloren. Die Pässe wurden ihnen von den deutschen Behörden erst ausgehändigt, nachdem sie schriftlich versichert hatten, dass sie niemals nach Deutschland bzw. Österreich zurückkehren würden. Infolgedessen haben wir praktisch unsere Staatsbürgerschaft verloren und sind heute staatenlos, denn niemand kann Bürger eines Staates bleiben, dessen Staatsgebiet er nicht betreten darf.
Quelle: NAA_ItemNumber358850, Seite 20.
(2) Wir suchten den Schutz des Britischen Empires und kamen nach Malaya entweder mit bereits in Europa erhaltenen Genehmigungen oder mit der von den Einwanderungsbehörden in Singapur mit Unterstützung des Jüdischen Flüchtlingshilfskomitees in Singapur erhaltenen Erlaubnis. Nach Erhalt der Landeerlaubnis suchten wir nach Arbeit und schafften es, uns selbst zu versorgen, ohne von öffentlichen Wohltätigkeitsorganisationen abhängig zu sein.
(3) Nach Ausbruch des Krieges durften wir auf Bewährung frei sein und ließen nichts unversucht, um dem Britischen Empire, das uns Schutz gewährte, unsere Loyalität und Dankbarkeit zu beweisen.
(4) Vor einigen Wochen wurden einige der 270 Flüchtlinge in Malaya interniert und in Schutzhaft genommen. Die Internierten wandten sich schriftlich an die Behörden und baten um den Grund für ihre Inhaftierung und um die Einsetzung eines Gerichts, das sich mit ihrem Fall befasst. Sie erhielten eine Antwort, von der eine Kopie beiliegt. Es wird deutlich darauf hingewiesen, dass kein Tribunal eingerichtet werden konnte, da keiner von ihnen einen Verstoß gegen das Verteidigungsgesetz begangen hatte.
(5) Einige jüdische Flüchtlinge, die sich in den Föderierten Malaiischen Staaten aufhalten, wandten sich an den Rechtsberater, den ehrenwerten Herrn Clarke, und baten ihn, ihnen in ihren Schwierigkeiten beizustehen und sie zu beraten, da sie befürchteten, dass sie schließlich in die gleiche Lage geraten würden wie die Internierten in Singapur. Der ehrenwerte Herr Clarke teilte die unter Punkt (1) dieses Schreibens dargelegte Meinung und sandte ein Telegramm an die Behörden in London, in dem er sie nach den Gründen fragte, warum jüdische Flüchtlinge als feindliche Verbündete behandelt werden sollten. Bis zum Zeitpunkt unserer Einschiffung hat der ehrenwerte Herr Clarke noch keine Antwort auf sein Telegramm erhalten.
(6) Mitte August wurden die Flüchtlinge in Singapur und in der F.M.S., die noch auf Bewährung frei waren, von den Behörden in Singapur aufgefordert, ihre Angelegenheiten zu regeln und sich auf die Deportation vorzubereiten. Sie erhielten jedoch die Möglichkeit, die Erlaubnis zu beantragen, die Kolonie in ein anderes neutrales Land zu verlassen, für das sie ein Visum vorlegen konnten.
(7) Wir waren daher völlig überrascht, als wir uns bei unserer Ankunft in einem gewöhnlichen Lager für Kriegsgefangene wiederfanden – das noch nicht einmal fertiggestellt war – und feststellen mussten, dass nichts mit den Zusicherungen übereinstimmte, die uns in Singapur gegeben worden waren. Die aus Wellblech gebauten Hütten sind nicht in der Lage, Schutz vor Kälte und Hitze zu bieten. Unsere kleinen Kinder im Alter von sechs Wochen und unsere alten Menschen bis zu über 80 Jahren sind definitiv nicht in der Lage, das Leben unter solchen Bedingungen zu ertragen. Im ganzen Reich wurden keine Kinder, Frauen und alten Menschen interniert und unseres Wissens sind auch im Commonwealth of Australia keine jüdischen Flüchtlinge interniert.
(8) Da unsere Zukunft vollständig vom Sieg des Britischen Empire abhängt, sind wir – und waren es immer – nur zu sehr darauf bedacht, unsere Loyalität gegenüber dem Land unserer Zuflucht zu beweisen und sind unglücklich darüber, dass wir trotz unserer eindeutig pro-britischen Tendenz als Feinde behandelt werden.
(9) Wir sind davon überzeugt, dass die Behörden unsere Lage verstehen und uns nach Abwägung der Umstände, unter denen wir hierher gebracht wurden, so schnell wie möglich von unseren Leiden befreien und auf Bewährung freilassen werden. Ich füge einen Ausschnitt aus der „Straits Times“ in Singapur bei, der selbsterklärend ist.
(10) Ich bitte Sie, so freundlich zu sein, diesen Antrag an die betreffenden Behörden weiterzuleiten.
Ich habe die Ehre,
Sir,
Ihr gehorsamer Diener zu sein,
(gez.:) G. SEEFELD.
CAMP LEADER.
Australien leht Verantwortung ab
Die australische Regierung vertrat die Ansicht, die Lager im Auftrag von Großbritannien zu betreiben, lehnte jede Zuständigkeit ab und machte die britischen Behörden für Inhaftierungen und Freilassungen verantwortlich. Die Antwort des Lagerkommandanten[3] Ebenda, Seite 20. von Tatura 3, Major Sproat, vom 21. Oktober 1940 folgt naturgemäß dieser Linie. Er teilt den „Damp Leaders“ (Tippfehler im Original) mit, dass sich die Internierten aus dem UK an das britische Innenministerium und die aus Malaya an die Kolonialbehörde in Singapur zu wenden hätten. Weitere Anträge für Freilassungen würde er dem Hauptquartier zur Weiterleitung schicken.
Die Queen Mary-Internierten reagieren darauf mit diesem Schreiben an die britischen Kolonialbehörden in Singapur[4] Ebenda, Seite 12ff..
Brief der Internierten aus Tatura, Camp Nr. 3, an den britischen Colonial Secretary in Singapur
Sir,
Wir, die unterzeichnenden inhaftierten Flüchtlinge, beehren uns, Ihnen folgende Petition zur freundlichen Prüfung vorzulegen:
Zwei Tage nach unserer Ankunft in diesem Kriegsgefangenenlager, d.h. am 29. September 1940, richteten wir einen Brief an den Kommandanten dieses Lagers, von dem eine Kopie beigefügt ist. Fast einen Monat später, am 21. Oktober, wurde uns gemäß der beigefügten Kopie der Mitteilung mitgeteilt, dass keine Anträge von Internierten, die aus Übersee nach Australien geschickt wurden, berücksichtigt werden könnten, sondern dass alle Anträge an Sie, Sir, gerichtet werden müssten.
Unserem Schreiben vom 29. ist kaum etwas hinzuzufügen; es bleibt nur die Tatsache, dass bis jetzt keine der uns in Singapur gegebenen Zusagen erfüllt wurde. Im Gegenteil, wir haben eine Enttäuschung nach der anderen erlitten, die uns im Innersten verletzt hat. Erinnern wir uns an das letzte Gespräch, das Herr G. Seefeld mit dem Sectretary of Defence, Herrn Dawson (Mount Rosie), wenige Tage vor unserer Abreise nach Australien hatte. Herrn Seefeld wurde gesagt, dass Seine Exzellenz der Gouverneur ein Manifest an die australischen Behörden schicken würde, in dem er darauf hinwies, dass wir die unglücklichsten Menschen seien, Menschen ohne jegliche Neigung zum Nazismus und Menschen mit einer sauberen Akte in Malaya. Ihm wurde ferner versprochen, dass unsere persönlichen Akten (d.h. unsere Polizeiakten), die sich im Besitz der Special Branch befinden, mit uns geschickt würden und dass wir je nach unseren Verdiensten von den australischen Behörden freigelassen und auf Bewährung entlassen würden.
Es ist daher für uns unfassbar, dass sich die Behörden innerhalb weniger Stunden nach unserer Ankunft hier auf australischem Boden veranlasst sahen, bis dahin harmlose, unglückliche und rechtlich staatenlose Flüchtlinge zu so gefährlichen Feinden zu stempeln, dass sie – Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge und sehr alte Menschen gleichermaßen – hinter Stacheldraht in einer Umgebung fernab von Bewohnern auf einem kleinen Hügel mit tatsächlichem Savannenklima gehalten werden müssen.
Quelle: NAA_ItemNumber358850, Seite 12.
Wir erkennen mit Dankbarkeit die Bemühungen unseres Lagerkommandanten und seines Stabes an, unsere gegenwärtigen Leiden zu lindern, aber das Wenige, was unter den militärischen Beschränkungen, denen wir unterworfen sind, getan werden kann, beeinflusst unsere Lage kaum.
Wir wenden uns an Sie, Sir, mit der Bitte, sich für uns einzusetzen und dafür zu sorgen, dass das oben erwähnte Manifest Seiner Exzellenz des Gouverneurs und unsere Polizeiakten jetzt auf dem schnellsten Wege und ohne weitere Verzögerung an die australischen Behörden weitergeleitet werden, zusammen mit Ihrer Erklärung, dass wir, soweit Ihre Regierung betroffen ist, auf Bewährung entlassen werden können.
Abschließend dürfen wir hinzufügen, dass wir uns bis zum Eintreffen dieser Dokumente an die australischen Behörden wenden werden, um die für unsere Niederlassung in Australien erforderlichen Genehmigungen zu erhalten.
Wir haben die Ehre,
Sir,
Ihre gehorsamen Diener zu sein,
(unterzeichnet gemäß den beigefügten Listen.)
Internierungslager Nr.3, Tatura, 28. Oktober 1940.
An den Hon.
The Colonial Secretary,
Government House,
SINGAPUR.
Abschließender Briefwechsel
Zu den in der NAA-Akte enthaltenen begleitenden Unterlagen gehört auch interner Briefwechsel des australischen Militärs und ein Schreiben aus der Dienststelle des australischen Generalstabschefs vom 26. November 1940[5] Ebenda, Seite 4.. Dort wird das australische Southern Command angewiesen, dem Internierten Erich Maximilian Knopf auf seine Anfrage mitzuteilen, „wenn der Colonial Secretary in Singapur seiner Freilassung zustimmt, wird er nach Singapur zu seiner dortigen Freilassung zurück geschickt. Das Antrags-Original sei dorthin geschickt worden. Das Dokumenten-Paket endet mit der Weiterleitung des Befehls am 29. November 1940 an das Hauptquartier der Internierungslager.
Hinweis: Über die schikanöse Behandlung jüdischer Internierter im Camp Tatura 3 durch den Lagerkommandanten Major Sproat und seinen direkten Vorgesetzten Oberstleutnant Tackaberry wird an anderer Stelle berichtet werden.