Dunera

Ein Appell der Internierten

Gut ein Jahr nach der Internierungswelle in England meldeten sich die nach Australien deportierten Juden und Nazigegner mit einer Bestandsaufnahme ihrer Zeit hinter dem Stacheldraht der Camps 7 und 8 bei Hay zu Wort. Sie formulierten Fragen an die britische und australische Politik und an die Behörden. Dies geschah fast ein Jahr, nachdem Großbritannien die Deportierungen beendete und die Flüchtlingen wieder als Freunde galten. Dieser dramatische Appell wird hier – möglicherweise erstmals im ungekürzten Wortlaut – in deutscher Sprache dokumentiert. Es dauerte ein Jahr, bis die letzten Internierten Juden und Nazigegner aus der Internierung entlassen wurden.

Übersetzung, Anmerkungen und Zwischentitel von Peter Dehn, Januar 2024. Die Hervorhebungen im Text wurden dem Original-Dokument (im Familienarchiv Dehn) nachempfunden.

Ein Appell für GERECHTIGKEIT und MENSCHLICHKEIT








Victor Cazalet (1896 – 1943) wurde nach einer militärischen Karriere Politiker der Konservativen Partei.
Quelle: Imperial War Museum No. 20529195.

„Keine gewöhnliche Ausrede, wie z.B. Krieg und Überlastung der Beamten, reicht aus, um das Geschehen zu erklären. (…) Schreckliche Tragödien, unnötig und unverdient, liegen vor der Tür von irgendjemandem; und ich möchte, dass der Minister, wenn er will, sagt, dass er sich darüber im Klaren ist, dass diese Fehler, die er zugegeben hat, in bestimmten Fällen zu entsetzlichen und höchst bedauerlichen Tragödien geführt haben. (…) Ehrlich gesagt, werde ich mich weder als Engländer noch als Anhänger dieser Regierung glücklich fühlen, bis diese besudelte Seite unserer Geschichte gesäubert und neu geschrieben worden ist.“
MAJOR CAZALET im Unterhaus[1] Protokoll des Unterhauses vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023. am 22. August 1940.

In diesen Maitagen 1941 sehen wir, 2.100 Flüchtlinge vor der Nazi-Verfolgung, die in Großbritannien interniert und nach Australien transferiert wurden, am ersten Jahrestag ihrer Internierung ein klägliches Scheitern.

Solch ein Tag gibt uns das Recht, unsere Stimme zu erheben und sie hörbar zu machen, auch wenn sie schwach ist. Die Gelegenheit selbst rechtfertigt unser Plädoyer für Gerechtigkeit und Menschlichkeit vollständig.

Welche Anklage wird gegen uns erhoben und womit wir haben es verdient, Monate unseres Lebens hinter Stacheldreht zu verbringen, getrennt von unseren Frauen, Kindern, Eltern und Freunden, mit starken Einschränkungen unserer Kontakte, der wiederholten Zerstörung unserer Existenzen und der Stigmatisierung durch lange Haft?

Die große Mehrheit von uns sind Flüchtlingen vor der Verteufelung und Entfernung der Juden, andere sind Veteranen in der politischen Arena des Kampfes gegen den Hitlerismus.

Wir appellieren an Sie mit dem vollen Vertrauen unschuldiger Männer mit der Bitte, uns das erste und wesentliche Recht eines jeden Menschen wiederzugeben:

unsere Freiheit.

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Als kurz nach dem Beginn des Krieges Ausländertribunale in Großbritannien eingerichtet wurden, mussten wir dort erscheinen, um uns als Flüchtlinge klassifizieren zu lassen, als „Opfer der Nazi-Verfolgung“. Obwohl diese Tribunale uns ausdrücklich von einer Internierung befreiten, wurde unsere Masseninternierung von der britischen Regierung in den hektischen Tagen nach der Invasion der Niederlande angeordnet.

Unsere erste Reaktion darauf war völlige Verwirrung, aber wir scheiterten nicht daran zu verstehen, dass jeder für die gemeinsame Sache Opfer bringen muss. Feststellend, dass während eine Krieges Fehler unvermeidlich sind und im Vertrauen darauf, dass die Politik der Masseninternierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Prüfung unterzogen würde, erwarteten wir geduldig unsere Rehabilitierung. Inzwischen war Frankreich gefallen, die Gefahr einer Invasion wuchs, so dass die Regierung Seiner Majestät, in diesem Notfall, Transporte nach Übersee beschlossen hatte, um die Internierungslager zu leeren.

Viele von uns meldeten sich freiwillig für den Transport, der uns schließlich nach Australien brachte, aufgrund der Stärke der Versprechungen der Behörden. In einigen Lagern wurde uns versichert, dass wir nach Kanada verschifft werden., in anderen Lagern wurde angekündigt, dass wir in Übersee mehr Freiheit und eine Arbeit bekämen. Den Verheirateten wurde versprochen, ihre Familien würden ihnen im gleichen Konvoi oder unverzüglich folgen. Den Transmigranten wurden gesagt, dass sie die durch die Evakuierung keinen Nachteil erleiden würden. Im Gegenteil wurde angedeutet, dass ihre Emigration in die USA durch den Umstand unterstützt wurde, dass sie schon auf dem amerikanischen Kontinent sind.

Es muss jedoch ausdrücklich festgestellt werden, dass die Nazi Sympathisanten – während unser Transport vorbereitet wurde – bereits aus den Lagern in Großbritannien evakuiert waren.

Keiner der 2.100 Flüchtlinge, die in Hay interniert wurden, wurde für Übersee ausgewählt, weil er verdächtig gewesen wäre.

In den Tagen unserer Evakuierung wurde die Welt von den verräterischen Aktivitäten der w a h r e n  5. Kolonne erschüttert, den Quislings[2] Vgl. Wikipedia über Vidkun Quisling  Der Name des Führers der norwegischen Nazipartei und der Marionettenregierung während der Besetzung durch das Deutsche Reich wurde zum Synonym für politische Verräter. Er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Abgerufen am 20.9.2023., den Lavals[3] Wikipedia über Pierre Laval, einen wegen seiner Kollaboration in der Vichy-Regierung mit den Nazis zum Tode verurteilten und hingerichteten französischen Politiker, abgerufen am 20.9.2023. und den Flandins[4] Wikiepedia über Pierre-Étienne Flandin, den Nachfolger von Laval als Ministerpräsident des französischen Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte, abgerufen am 20.9.2023.. Diese ehrgeizigen Verräter, bezahlt und kommandiert von Hitler, untergruben und betrogen ihr eigenen Länder.

In früheren Kriegen war der Geburtsort einer Person das Kriterium seiner Loyalität. Es daher nicht überraschend, dass angesichts dieser Aktivitäten der Verdacht auf jeden fiel, der in Deutschland oder Österreich geboren wurde. So wurde plötzlich die willkürliche Internierung befohlen. Es wurde kein Unterschied gemacht zwischen den Opfern und den Unterstützern der Naziideologie. Diese Ideologie hatte diesen Krieg verursacht. Es ist kein Krieg der Staaten, wie andere es gewesen sind, sondern ein Krieg der Ideale. Ein Krieg des einen Systems gegen ein anderes, Demokratie gegen Diktatur. Verbündete der demokratischen Ideale gehören zu denen, die in Hitlers Reich geboren wurden. Und erbitterte Gegner können innerhalb der Grenzen von Demokratien aufgespürt werden. Ganz Staaten sind in diesem Kampf gespalten. So ist z.B. das französische Volk in zwei Lager gespalten. Das Freie Frankreich steht mutig zu seinen alten Traditionen, während die anderen hinterhältig und im Geheimen für das System der Tyrannei sind. Viele Amerikaner deutscher Herkunft haben es kürzlich durch die Stimme von Mr. Willkie erklärt, dass sie nichts mit dem gegenwärtigen Deutschland gemeinsam haben.

Von Nazideutschland ausgebürgert, in Australien hinter Gittern

Während wir nach gesetzlichen Regelungen gar keine deutschen Bürger, sondern auf minderwertige Rechte reduziert sind, während es uns nicht mehr erlaubt ist, unseren Fuß auf deutschen Boden zu setzen, sehen wir mit Trauer, dass wir, die nach Australien deportierten Flüchtlinge, weiterhin hinter Stacheldraht festgehalten werden.

In England wurde unsere Loyalität zur gemeinsamen Sache offiziell anerkannt. Es wurde öffentlich zugelassen, dass unsere fortgesetzte willkürliche Internierung einzig der verlogenen Goebbels-Propaganda helfen kann. Es wurde erkannt, dass es nur logisch und eine Sache des gesunden Menschverstandes ist, dass wir, die in Konzentrationslagern der Nazis gefoltert wurden, die aus ihren Wohnungen geworfen wurden, deren Eigentum konfisziert wurde und die aus dem Land ihrer Geburt vertrieben wurden, die natürlichen Verbündeten Großbritanniens in der Sache der Freiheit sind.

An jedem Tag, als die H.M.T. „Dunera“ ihre verhängnisvolle Reise mit 2.100 internieren Flüchtlingen in Liverpool begann, begann im Unterhaus eine Debatte mit Bezug auf die ungerechte und harte Politik der Internierungen. An jenem Tag, dem 10. Juli 1940, erklärte Mr. Peake, der damalige Under-Secretary of State: „Ich möchte diesen Flüchtlingen meine Anerkennung dafür aussprechen, dass sie sich des Vertrauens, das wir in sie gesetzt haben, würdig erwiesen haben.“ In den vielen danach folgenden Debatten erklärte der damalige britische Minister für innere Sicherheit und Innenminister Sir John Anderson[5] Das Zitat wird gerne Winston Churchill zugeschrieben, stammt jedoch laut Unterhaus-Protokoll am 22.8.1940 von Anderson; abgerufen am 17.8. 2023. am 23. August 1940, dass „bedauerliche und beklagenswerte Fehler“ in Verbindung mit unserer Internierung geschehen seien.“ Am 3. Dezember 1940 versprach Innenminister Mr. Herbert Morrison eine Revision unserer Fälle „mit großer Geschwindigkeit“ und erklärte, dass Fehler beim Schicken von Internierten nach Kanada und Australien gemacht wurden.

Ein White Paper, unsere Internierung betreffend, wurde am 31. Juli 194o veröffentlicht. Am 5. August 1940 wurden die Internierungslager in England von der militärischen einer zivilen Verwaltung übergeben. Als Konsequenz des White Paper wurde ab Anfang Dezember 1940 8.000 Flüchtlingen und danach vielen mehr gestattet, die Lager als freie Menschen zu verlassen.

Seitdem bestand die (öffentliche) Meinung im Vereinigten Königreich auf einer Änderung der Politik willkürlicher Internierungen befreundeter Ausländer, die auf den britischen Inseln das traditionelle Asyl gefunden hatten, das dort seit Jahrhunderten Unterdrückten und unschuldig Verfolgten gewährt wird.

Die Tore der Internierungslager in Großbritannien wurden weit aufgerissen. Tausende unserer Brüder traten dem Pioneer Corps der britischen Armee bei und man kann sie an jeder Front des Krieges finden. Wir erhalten viele Briefe aus England, die sagen, dass unsere Freunde stolz darauf sind, als Verbündete anerkannt zu werden. Ihr Enthusiasmus, Hingabe und Eifer werden in der Öffentlichkeit dankbar aufgenommen.

Unsere Brüder kämpfen auch Seite an Seite mit der britischen Armee und den jüdisch-Palästinensischen Streitkräften in Griechenland. Wir lesen gerade die traurige Nachricht (The Age, Melbourne, 16. Mai 1941), dass einige Tausend dieser Soldaten, Mitglieder des Jüdischen Arbeitsbataillons, unter ihnen Flüchtlinge aus Deutschland, dort gefangengenommen wurden. Sie sind dort jetzt Kriegsgefangene in einem Lager bei Korinth und wir wissen nur zu gut, welches Schicksal sie in der Gewalt der Nazis erwartet.

Der SYDNEY MORNING HERALD berichtete am 30. Oktober 1940 über ein offizielles britisches Funktelegramm, demzufolge „tausende Ausländer für technische Dienste durch die Internationale Abteilung des Arbeitsministeriums“ mobilisiert werden. Andere Freunde haben sich für die A.R.P., A.F.S.[6] Gemeint sind hier möglicherweise die zur britischen Zivilverteidigung gehörenden Bereiche Air Raid Precautions und Auxiliary Fire Service. und verschiedene andere Bereiche der nationalen Dienste eingeschrieben.

Abkehr von den Massendeportierungen ohne Wirkung

Die geänderte Politik gegenüber den Flüchtlingen im Vereinigten Königreich erweist sich damit nicht nur der Gerechtigkeit angemessen und menschlich, sondern befriedigt auch die Forderungen der gemeinsamen Sache. Während wir als Internierte die königliche Regierung belasten, könnten wir als freie Männer im Rahmen unserer Grenzen ein wertvoller Teil sein.

Was Mr. Peake, Under-Secretary of State[7] Vgl. Wikipedia über Osbert Peake (1897-1966), Parlamentarischer Unterstaatssekretär für das britische Home Office (Innenministerium)., am 20. Mai 1940 im Unterhaus erklärte, kann auf den Wahrheitsgehalt überprüft werden. „Es ist kein Fall bekannt, dass Flüchtlinge feindliche Aktionen durchgeführt haben.“ Im Fall unserer Brüder in Großbritannien wurde Gerechtigkeit und Menschlichkeit Genüge getan.

Warum ist die Position der nach Australien gebrachten Flüchtlinge so anders? Warum werden wir verdächtigt, Feinde zu sein und werden nicht als Verbündete anerkannt? Warum werden wir immer noch – ein Jahr nach unserer Internierung – hinter Stacheldraht gehalten?

Der wesentliche Grund und die wahre Antwort scheinen in dem Abkommen zwischen den Regierungen Großbritanniens und Australiens über unsere Internierung zu liegen. Während die Regierung des Commonwealth sich offenbar verpflichtete, Kriegsgefangene und internierte Nazis oder Sympathisanten des Faschismus für die Dauer der Feindseligkeiten aufzunehmen, die die britische Regierung nach dem Krieg zurückbekommen sollte, kamen hier 2.100 unschuldige Flüchtlinge, Opfer der Nazi-Verfolgung an. Die Masseninternierung wurde später als Fehler eingestanden. Die australische Regierung besteht nun, soweit es beide Regierungen betrifft, auf ihren Rechten und darauf, dass die Klauseln dieses unglücklichen Abkommens strikt eingehalten werden.

Aber kommt es auf eine Klausel in einem Abkommen an, wenn die Freiheit von so vielen unschuldigen und verbündeten Männern auf dem Spiel steht, die jetzt mehr als 12 Monate in Haft sind?

Die Verantwortung zwischen beiden Regierungen ist nur eine Seite des Problems. Die andere Seite liegt in der grundsätzlichen Verpflichtung eines demokratischen Staates zu Menschlichkeit und Gerechtigkeit – eine Verpflichtung, die zwingend die Freiheit für unschuldige Menschen fordert. Diese Forderung ist so stark und wichtig, dass man erwarten kann, dass dadurch jede Vertragsklausel außer Kraft gesetzt wird.

Australiens freundlicher Empfang und menschliche Behandlung von Flüchtlingen vor der Nazi-Verfolgung ist eine Ehre für das Land und seine Tradition. Das Commonwealth ist eines der Länder, die an der Konferenz von Evian[8] Hier scheint ein Missverständnis oder unzureichende Information zu bestehen. Im Juli 1938 scheiterte die  Evian-Konferenz über den Umgang mit jüdischen Flüchtlingen aus Nazideutschland. Polen und einige osteuropäische der 32 Teilnehmer-Staaten  hofften, mittels eines Abkommens „ihre“ Juden loszuwerden; nicht einmal die USA als Einlader wollte ihre Einwanderungs-Quote erhöhen. Man einigte sich lediglich darüber, mit Nazideutschland zu verhandeln. Abgerufen am 26.9.2023. teilnahmen, um die Notlage dieser unglücklichen Menschen zu lindern und ihnen Asyl zu gewähren, damit sie wieder die Grundrechte genießen können.

Dürfen wir nach einem Jahr Haft und in unserer größten Not an den edlen Geist dieser Versammlung appellieren und es wagen, offen zu sagen, dass unsere Internierung nicht nur diesem Geist widerspricht, sondern auch dem Wortlaut mehrerer Artikel der Konvention.

Dieses historische Dokument wurde, entsprechend der Präambel[9] „Als die Welt sich abwandte“ (When the World Turned Away), German Der Spiegel am 6.7.2018 über die Konferenz von Evian, abgerufen am 25.9.2023., von den Regierungen unterzeichnet, die „wünschen, dass den Flüchtlingen die bürgerlichen Rechte, der freie und ungehinderte Zugang zu Gerichten, die Sicherheit und Stabilität bei der Niederlassung und der Arbeit, Erleichterungen bei der Ausübung der Berufe, in Wirtschaft und Handel, die Freizügigkeit und die Zulassung zu den Schulen und Universitäten gewährleistet werden“.

Zwischen streitenden Regierungen zerrieben

An Australien, das die Konvention unterzeichnete, wenden wir uns mit einem Appell um Hilfe. Australien ist gegenwärtig das einzige Land, dass einerseits praktische Abhilfe bringen kann und das – wie Mr. Peake im Unterhaus am 10. Juli 1940 bestätigte – die Macht hat, uns freizulassen.

Unsere Internierung ist durch die australischen Haftbefehle geregelt. Diese Befehle wurden im Auftrag der britischen Masseninternierung ausgestellt wurden. Nachdem letztere in der Zwischenzeit jedoch als „bedauerlichen und beklagenswerten Fehler“ charakterisiert wurden, haben die australischen Haftbefehle ihre Berechtigung verloren.

Die mit den Transporten zwischen den Kontinenten verbundenen technischen Schwierigkeiten und die Tatsache, dass unter uns 800 Transmigranten sind, letztlich für die USA bestimmt, macht unsere Situation so kompliziert, dass unser Problem nur in Kooperation und mit dem guten Willen des Commonwealth gelöst werden kann.

Die meisten Auswanderungswilligen wurden in Großbritannien vom Krieg überrascht, während sie auf die Erteilung ihrer Visa warteten. Sie wurden interniert und sind jetzt in Australien. In vielen Fällen warten ihre Frauen, Kinder und Eltern in den USA gespannt auf sie. Durch ihre Evakuierung hatten sie die Möglichkeit die 1940 bestand verloren, direkt aus dem Vereinigten Königreich zu emigrieren. Wegen des durch ihre Deportation entstandenen hohen Zeitverlustes und nach hohen Kosten für den Transfer der konsularischen Dokumente und der Komplettierung ihrer Unterlagen sehen sie nun all ihre Bemühungen gescheitert.

Zum Höhepunkt der Internierungen in Australien[10] Vgl. Wikipedia über die australischen Lager, abgerufen am 20.12.2023. waren dort 12.000 Menschen in mehr als 20 Lagern hinter Stacheldraht. Unter den weggesperrten 7.000 Einwohnern Australiens waren 1.500 „British nationals“ (Staatsbürger Großbritanniens und der Commonwealth-Länder inkl. Australien). Weitere 8.000 Menschen wurden von Verbündeten nach Australien deportiert. Zu ihnen gehörten auch die mehr als 2.100 deutschen und 200 italienischen Internierten der Dunera und die fast 300 Männer, Frauen und Kinder der Queen Mary-Gruppe.
Karte: National Library of Australia.

Als erster informierte der Armeeminister das amerikanische Konsulat in Sydney, dass den internierten Flüchtlingen aus Großbritannien nicht gestattet sei, direkt aus Australien zu emigrieren, sie müssten in das Vereinigte Königreich zurückkehren. Aber auch nach der Aufhebung dieser Verordnung stößt unsere Ausreise in die USA immer noch auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Die amerikanischen Behörden wollen nur Internierte aufnehmen, deren bedingungslose Freilassung vom [britischen] Innenministerium genehmigt wurde und deren Integrität somit offiziell festgestellt ist. Unsere Freilassung wird unter der Bedingung gewährt, dass sie beim Auslaufen aus einem australischen Hafen wirksam wird. Dies befriedigt die amerikanischen Behörden nicht, so dass unsere Einwanderung nur möglich wäre, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten einer bedingungslosen Freilassung zustimmt. Und sei es auch nur für eine kurze Zeit, und zwar für diejenigen, die in jeder anderen Hinsicht die Anforderungen der amerikanischen Einwanderungsgesetze erfüllen. Technische Schwierigkeiten verhindern, dass die 17- und 18-jährigen Kinder unter uns sich ihren Eltern anzuschließen, und dass viele verheiratete Männer mit ihren Familien zusammenkommen.

Vor einigen Wochen hat das Innenministerium den Verbindungsoffizier Major J. Layton[11] Major Julian Layton war ein Brite mit deutsch-jüdischen Wurzeln, der sich bereits für das Kitchener Camp engagiert hatte. Er wurde Anfang 1941 als Verbindungsmann des Home Office nach Australien geschickt, um Männer für das britische Pioneer Corps anzuwerben und die Internierungslager abzuwickeln. nach Australien geschickt. Dank seiner Bemühungen konnten 180 ausgewählte, zumeist verheiratete Männer nach England zurückkehren.

In Übereinstimmung mit der britischen Politik, die uns Flüchtlinge vor der Nazi-Verfolgung seit einigen Monaten als Verbündete sieht, hat Major Layton die gesunden Männer zwischen 18 und 50 Jahren eingeladen, dem Pionierkorps der britischen Armee beizutreten. In unserer Nachbarschaft folgten 500 Männer diesem Ruf. Das ist, in Anbetracht der großen Zahl von Kindern, alten und kranken Männern unter uns, ein beachtlicher Anteil.

Was soll aber aus dem Rest von uns werden, die den gleichen Status wie die rekrutieren haben und die ebenfalls bestrebt sind, „ihren Anteil zu leisten“ für die gemeinsame Aufgabe?

Jetzt verrotten die Kenntnisse und Fertigkeiten der Ingenieure, Wissenschaftler, Ärzte und Experten unter uns hinter Stacheldraht. Was wäre angesichts des Mangels an Arbeitskräften edler und vorteilhafter für die Kriegsanstrengungen Australiens als unsere frischen Kräfte im Kampf gegen unsere Feinde voll einzusetzen? – Würde uns die Teilnahme an der gemeinsamen Aufgabe gestattet, wären keine Belastung und kein Problem mehr, sondern ein Nutzen für Australien.

Verbündete – behandelt wie Kriegsgefangene

In diesem totalen Krieg sollte keine Unze Kraft verschwendet werden und Männer sollten nicht nur ausschließlich nach ihrem Geburtsort beurteilt werden. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.

Ist es nicht paradox, dass wir einerseits eingeladen werden, dem britischen Militär beizutreten und andererseits hier als „feindliche Ausländer“

den Lagerregeln für Kriegsgefangene unterworfen sind? Diese Lagerregeln, herausgegeben vom Kommandanten unserer Internierungslager am 1. März 1941 bestimmen u.a.:

(1a) Das Veranstalten politischer Treffen oder Treffen, auf denen politische Propaganda gemacht wird oder wo Nazi- oder faschistische Prinzipien empfohlen, befürwortet oder zu diesen gedrängt wird, ist streng verboten. Die Nazi- und Faschisten-Grüße werden nicht gestattet, aber Internierte oder Kriegsgefangene werden jederzeit strammstehen, wenn sie von einem Offizier oder Unteroffizier der australischen Streitkräfte angesprochen werden oder wenn eine Inspektion oder ein Appell abgehalten wird.
(5) Das Zeigen von Nazi- oder Faschisten-Emblemen, Symbolen oder Gravuren in allen Lagern ist verboten.
(15) Das Schikanieren von Internierten oder Kriegsgefangenen, die Antinazi- oder antifaschistische Ansichten vertreten, oder aus anderen Gründen, ist verboten.

Es deprimiert uns Flüchtlinge zutiefst, dass wir nach einem Jahr Internierung und vollständiger Rehabilitierung durch Großbritannien, von einer solchen Atmosphäre des Misstrauens umgeben sind.

Zusätzlich zu den o.g. Lagerregeln sind wir den „Army Field Censorship Regulations“ unterworfen. Wir glauben zwar nicht, dass dies auf eine absichtliche politische Geste zurückzuführen ist, können aber den Grund dafür nicht verstehen.

Die „Army Field Censorship Regulations“ behindern unsere Anstrengungen bei der Lösung unserer Probleme. Telegramme dürfen nicht verschickt werden und Luftpostbriefe, das einzige praktische Mittel, um mit unseren Familien in Kontakt zu bleiben und sie zu benachrichtigen, können nur in Ausnahmefällen und mit Sondergenehmigung versandt werden. Im Lager Tatura Nr. 3 wurden Briefe des Section Leaders an das amerikanische Generalkonsulat in Sydney, die sich mit zentralen Themen unserer Emigration beschäftigten, wurden zurückgehalten und erst nach drei oder vier Monaten zurückgegeben. Kommunikationen von der australischen Jewish Welfare Society, Sydney, passierten nicht die lokale Zensur und wurden erst nach einigen Wochen ausgeliefert. Die Zensurstelle des Lagers 3 wies sogar Briefe zurück, weil deren Inhalt für nicht angemessen oder zweckmäßig gehalten wurde. Die „Army Field Censorship Regulations“ legen außerdem fest, dass wir nicht im Namen anderer Internierter schreiben dürfen. Das betrifft auch für Fragen der Freilassung und der Auswanderung, was sich natürlich als sehr nachteilig erweist. Unsere Kommunikationen müssen zwei Zensurbehörden passieren: Nicht nur einen „District Censor“, sondern zusätzlich eine lokale Zensur.

Eines der „… diskreditierendsten Ereignisse in der gesamten Geschichte …“

Verwundert es nicht, dass wir – in Großbritannien als Verbündete anerkannt – uns nach einem Jahr Internierung wegen des fortgesetzten Missverstehens unserer wahren Position gedemütigt fühlen und zutiefst deprimiert sind?

Am 6. August 1940 sagte Lord Cecil im Oberhaus: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Geschichte, die sich in Bezug auf diese unglücklichen Ausländer abgespielt hat, zu den diskreditierendsten Ereignissen in der gesamten Geschichte dieses Landes gehört.“

Weil wir wissen, dass Australien grundsätzlich nicht für die uns betreffenden Schwierigkeiten unserer unglücklichen Lage verantwortlich ist, möchten wir unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass das Commonwealth unserer wahren Status als Verbündete veröffentlichen wird. Und als freies Land ungeachtet der Vorschriften, die für uns gelten, aber nicht für uns gemacht wurden, unsere Freiheit als Opfern der Nazi-Unterdrückung nicht mehr zu verweigern.

Wir haben ein ganzes Jahr lang das harte Schicksal des Misstrauens mit ruhiger Würde auf uns genommen. Unser unverdientes Leid durch die Trennung von unseren Familien, die wiederholte Zerstörung unserer Existenzen, sind zu offensichtlich, um noch betont zu werden.

Wir wissen, dass das Recht auf unserer Seite ist und dass das Recht in einer freien Staatengemeinschaft im Kampfe gegen die Barbarei zwangsläufig zum Sieg führt.

Unser Problem ist ein britisches Problem – ein Problem der Gerechtigkeit.

Wir vertrauen zuversichtlich darauf, dass wir nicht vom Genuss von Freiheit und Menschlichkeit ausgegrenzt werden.

Mit dem Vertrauen der Unschuldigungen appellieren wir an Sie, uns das erste Recht der Menschen nicht länger vorzuenthalten:

unsere Freiheit.

u n s e r e  F r e i h e i t 









Der George Bell (1883 -1953) war seit 1929 Bischof von Chichester.
Foto: US-Kongreßbibliothek, LCN 2014695579.

„Ich habe keinen Zweifel daran, dass der erste Schritt zur Aufrechterhaltung der Moral der Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich, der Flüchtlinge vor der Unterdrückung durch die Nazis, nicht darin besteht, mit der Welt in allgemeinen Begriffen über die Ideale der Freiheit zu sprechen, sondern sie davon zu überzeugen, dass man Gerechtigkeit üben wird: Dass die Verfechter der Freiheit, wie wir sie sind, die Kämpfer gegen das Böse, die rohe Gewalt, den Unglauben, das Unrecht, die Unterdrückung und die Verfolgung, den Männern und Frauen gerecht werden, die in Deutschland schon bitter darunter gelitten haben und von dort zu uns geflohen sind.“
Bischof von Chichester, am 6. August 1940 im House of Lords[12] Vgl. Protokoll der Sitzung im House of Lords vom 6.8.1940, abgerufen am 20.9.2023..

Fußnoten

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  • [1]Protokoll des Unterhauses vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023.
  • [2]Vgl. Wikipedia über Vidkun Quisling  Der Name des Führers der norwegischen Nazipartei und der Marionettenregierung während der Besetzung durch das Deutsche Reich wurde zum Synonym für politische Verräter. Er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Abgerufen am 20.9.2023.
  • [3]Wikipedia über Pierre Laval, einen wegen seiner Kollaboration in der Vichy-Regierung mit den Nazis zum Tode verurteilten und hingerichteten französischen Politiker, abgerufen am 20.9.2023.
  • [4]Wikiepedia über Pierre-Étienne Flandin, den Nachfolger von Laval als Ministerpräsident des französischen Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte, abgerufen am 20.9.2023.
  • [5]Das Zitat wird gerne Winston Churchill zugeschrieben, stammt jedoch laut Unterhaus-Protokoll am 22.8.1940 von Anderson; abgerufen am 17.8. 2023.
  • [6]Gemeint sind hier möglicherweise die zur britischen Zivilverteidigung gehörenden Bereiche Air Raid Precautions und Auxiliary Fire Service.
  • [7]Vgl. Wikipedia über Osbert Peake (1897-1966), Parlamentarischer Unterstaatssekretär für das britische Home Office (Innenministerium).
  • [8]Hier scheint ein Missverständnis oder unzureichende Information zu bestehen. Im Juli 1938 scheiterte die  Evian-Konferenz über den Umgang mit jüdischen Flüchtlingen aus Nazideutschland. Polen und einige osteuropäische der 32 Teilnehmer-Staaten  hofften, mittels eines Abkommens „ihre“ Juden loszuwerden; nicht einmal die USA als Einlader wollte ihre Einwanderungs-Quote erhöhen. Man einigte sich lediglich darüber, mit Nazideutschland zu verhandeln. Abgerufen am 26.9.2023.
  • [9]„Als die Welt sich abwandte“ (When the World Turned Away), German Der Spiegel am 6.7.2018 über die Konferenz von Evian, abgerufen am 25.9.2023.
  • [10]Vgl. Wikipedia über die australischen Lager, abgerufen am 20.12.2023.
  • [11]Major Julian Layton war ein Brite mit deutsch-jüdischen Wurzeln, der sich bereits für das Kitchener Camp engagiert hatte. Er wurde Anfang 1941 als Verbindungsmann des Home Office nach Australien geschickt, um Männer für das britische Pioneer Corps anzuwerben und die Internierungslager abzuwickeln.
  • [12]Vgl. Protokoll der Sitzung im House of Lords vom 6.8.1940, abgerufen am 20.9.2023.

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