Dunera

Britische Deportationen
Teil 3

Die Nachricht von der Versenkung der Arandora Star am 2. Juli 1940 und die 800 Opfer hatte sofort eine erste Welle der Kritik an den Massenabschiebungen ausgelöst; bereits Anfang August wurde im britischen Unterhaus debattiert. Nachdem auch die Ereignisse auf der HMT Dunera bekannt wurden, konnte Prime Minister Winston Churchill seine rigide Rauswurf-Politik nicht mehr halten und machte einen Rückzieher. Dennoch dauerte es fast ein Jahr, bis nur drei Militärs der Dunera-Wachmannschaft von einem Militärgericht angeklagt und zwei zu eher geringen Strafen verurteilt wurden. Mit dem Eintreffen eines britischen Verbindungsoffiziers in Australien begann die Abwicklung der dortigen Internierungslager.

Peter Dehn im Januar 2024.

Über einen „bedauerlichen und beklagenswerten Fehler“

Vielfach wird Britanniens Premierminister Winston Churchill, seinen plötzlichen und harten politischen Schwenk verkündend, mit der Bemerkung zitiert, bei den Massenabschiebungen habe es sich um einen „bedauerlichen und beklagenswerten Fehler[1] Vgl. Wikipedia über die HMT Dunera, abgerufen am 26.8.2023.“ gehandelt.

„58 Tage, fast 2 Monate auf der Dunera! 58 Tage auf dem Weg nach Australien und wir hatten uns freiwillig für eine Reise von höchstens fünf Nächten nach Kanada gemeldet. Zwei Monate als ‚bedauerlicher Fehler‘ ohne Zahnbürste, ohne Rasierzeug, ohne Unterwäsche zum Wechseln, fast ohne Seife, bei schlechter und unzureichender Verpflegung, fast ununterbrochener Durchfall! 58 Tage lang den Schikanen der Nazis und der ‚Freundlichkeit‘ und den Bajonetten unserer Bewacher ausgesetzt …. Das war die D U N E R A !“

Dunera Boy Kurt Lewinsky[2] „19 Wasted Months“ von Dunera Boy Kurt Lewinski, zit. n. Bartrop/Eisen „The Dunera Affair“, Seite 221..

Wie im Fall von „Collar the lot“ ist auch für dieses Zitat keine authentische Quelle überliefert, die dem britischen Premier Churchill diese Äußerung ausdrücklich zuschreibt. Gleichwohl segelte sein Innenminister John Anderson am 22. August 1940 – die Dunera war noch nicht in Australien angekommen und der zweite Skandal noch nicht bekannt – vor dem britischen Unterhaus gehorsam auf der neuen politischen Linie. Er schlug zugleich mahnende Worte einiger Abgeordneter in den Wind und schob die Verantwortung auf schwierige Zeiten und „Fehler Einzelner“:

„Ich will hier nicht leugnen, dass bei der Durchführung der Internierungspolitik höchst bedauerliche und beklagenswerte Dinge geschehen sind. Sie haben nichts mit den Vorzügen dieser Politik zu tun.“ Dann folgt eine regierungsübliche Abweisung von Verantwortung: „Sie sind zum Teil auf die unvermeidliche Eile zurückzuführen, mit der die einmal beschlossene Internierungspolitik durchgeführt werden musste. Sie sind in einigen Fällen auf die Fehler Einzelner, auf Dummheit und Schlamperei zurückzuführen. All diese Dinge gehören der Vergangenheit an.“

John Anderson[3] Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023. am 22. August 1940.

Eine „besudelte Seite unserer Geschichte“

Während Anderson die Dinge also für vergangen und erledigt hielt, rüffelte ihn der konservative Abgeordnete Major Victor Cazalet zu gleicher Zeit an gleicher Stelle:

„Keine gewöhnliche Ausrede, wie z.B. Krieg und Überlastung der Beamten, reicht aus, um das Geschehene zu erklären. (…) Woran liegt es, dass nichts passiert ist? Ich fürchte, es liegt an der schieren Inkompetenz und dem Missmanagement. (…) Schreckliche Tragödien, unnötig und unverdient, liegen vor der Tür von irgendjemandem; und ich möchte, dass der Minister, wenn er will, sagt, dass er sich darüber im Klaren ist, dass diese Fehler, die er zugegeben hat, in bestimmten Fällen zu entsetzlichen und höchst bedauerlichen Tragödien geführt haben. Wir haben, unwissentlich, wie ich weiß, die Summe des durch diesen Krieg verursachten Elends vergrößert, und damit haben wir in keiner Weise die Effizienz unserer Kriegsanstrengungen erhöht. (…) Ehrlich gesagt, werde ich mich weder als Engländer noch als Anhänger dieser Regierung glücklich fühlen, bis diese besudelte Seite unserer Geschichte gesäubert und neu geschrieben worden ist.“

Major Victor Cazalet[4] Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023. am 22.8.1940.

Die lange Rede ist insgesamt auch lesenswert, weil Cazalet jedes rhetorische Register zieht, um die Regierung seiner Sympathie zu versichern und sie dennoch scharf zu kritisieren.

Etwa ein Jahr später äußert sich der neue Innenminister Herbert Stanley Morrison. Seine Aussage erinnert an einen Standardsatz á la „es war nicht persönlich gemeint“, mit dem sich Täter in schlechten Filmen vor ihren Opfern zu rechtfertigen pflegen:

„Um 2.500 Internierte wurden nach Australien geschickt, von denen 400 aus Sicherheitsgründen verhaftet wurden, während die verbleibenden 2.100 Deutsche und Österreicher waren, die in die Kategorien „B“ und „C“[5] Die britischen Tribunale sollten Flüchtlinge in die Kategorie „C“ einordnen, ergaben sich Zweifel war die Kategorie „B“ zu wählen. Für eindeutige Nazis und Sympathisanten war die Kategorie „A“ mit sofortiger Haft verbunden. eingestuft wurden. Sie wurden im Rahmen der allgemeinen Internierungspolitik, die im Sommer 1940 beschlossen wurde, vorsorglich interniert. Ich habe in diesem Haus mehrfach erklärt, dass die Tatsache, dass eine Person in Verfolg dieser allgemeinen Politik und nicht aus persönlichen Sicherheitsgründen interniert wurde, keinen Rückschluss auf ihre Zuverlässigkeit oder ihren Ruf zulässt und dies auch tatsächlich nicht tut.“

Herbert Morrison[6] [1] Innenminister Herbert Morrison im Unterhaus. Zit.n. Newsame, britisches Innenministerium, am 22.10.1941 an Major Wheeler, Büro des australischen Hochkommissars. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216015, Seite 74., Home Office, am 22.10.1941.

Who the hell is Gannef?

Die ebenso bedauerlichen wie beklagenswerten verbalen Nullleistungen britischer Regierungsmitglieder wurden mit der Zusage an die 2.500 Internierten in Australien ergänzt, der ihnen entstandene Sachschaden würde ersetzt. Die Abwicklung wurde zwischen mindestens vier britischen Ministerien und australischen Stellen ausgehandelt.

Darum drücken konnte man sich nicht, zumal der australische Militärgeheimdienst in einer Notiz an das Armeeministerium schon im Oktober 1940 Folgendes aktenkundig macht, auch wenn es sich eher wie eine Realsatire liest:

„Viele gesichtete Briefe von Internierten in Hay nehmen Bezug auf Raubzüge auf dem ‚Dunera‘-Transport während der Reise nach Australien. Das sind typische Auszüge: ‚Während der Reise verloren wir einen großen Teil unseres Gepäcks und Wertsachen.‘ … ‚Ich verlor alles auf der Dunera.‘ (…) Ein Hinweis auf den Täter der Raubüberfälle findet sich in drei Briefen, in denen ein Engländer namens ‚Ganneff‘ genannt wird. Eine Erwähnung lautet: ‚Auf dem Schiff, mit dem ich hierherkam, war der English Gannef immer mit uns‘. Die Angelegenheit wird gemeldet, um die Identität von Gannef festzustellen“.
Das Originaldokument trägt den handschriftlichen Zusatz „Ganneff ist jiddisch für Dieb“.

Memo des Geheimdienstes[7] Memo zum Geheimdienst-Wochenbericht für den 11.-18.10.1940. Zit. N. Bartrop/Eisen aao., Seite 65..

Schadensersatz: Lieber weniger?

Anfang Mai 1941 wurde geheim nach London gemeldet:

„1.600 Ansprüche, sämtlich mit eidesstattlichen Erklärungen. Total 32.500 Pfund Sterling, darunter 700 bis 10 Pfund, 435 zwischen 10 und 20 Pfund, 320 zwischen 20 und 50 Pfund, 95 zwischen 50 und 100 Pfund, 24 zwischen 100 und 200 Pfund, 6 über 200 Pfund. Nicht eingeschlossen sind 16 Forderungen für Manuskripte, Patente usw., summiert auf 5.750 Pfund.“

Britischer Hoher Kommissar[8] Verschlüsseltes Telegramm vom 8.5.1941 der britischen Hohen Kommission an das Dominions Office (Stelle der britischen Regierung, verantwortlich für die Beziehungen zu Kolonien. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 116. an das Dominion Office, 8.5.1941.

Nach Gesprächen mit 300 Antragsstellern werde davon ausgegangen, dass man mit Reduzierungen der Forderungen rechnen könne. Das entsprach dem Stand der bis Anfang Mai 1941 gemeldeten Ansprüche.

Die Briten wollten selbst mit der Abwicklung nichts zu tun haben. Sie drückten die Aufräumarbeit dem Verbindungsoffizier ihres Innenministeriums in Australien, Major Julian Layton[9] Major Julian Layton wurde in England als Sohn ausgewanderter deutscher Juden geboren, hatte sich im Kitchener Camp engagiert und fungierte nun als Verbindungsoffizier des britischen Innenministeriums in Australien, wo er die Internierungslager abwickelte., als zusätzliche Aufgabe auf.

„Schlage vor, dass das Innenministerium Layton ermächtigt, mit dem Commonwealth die Begleichung aller Ansprüche bis zu 50 Pfund zu vereinbaren und bei Ansprüchen über 50 Pfund bis zu 50 Pfund zu zahlen. Alle Vergleiche unterliegen dem Ermessen von Layton. Halte es für äußerst wünschenswert, dass diese Angelegenheit im Interesse aller Parteien abgeschlossen wird.“

Geheimtelegramm[10] Geheimtelegramm des australischen Premierministers an den High Commissioner für Australien in London vom 27.5.1941, Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 189. der australischen Regierung.

Vier Monate ließ sich das britische Kriegsministerium[11] Schreiben des Kriegsministeriums an den britischen Vertreter in London vom 25.9.1941. NAA_ItemNumber216015, Seite 143. Zeit, um die Auszahlungen zu drücken. Man wolle nun Forderungen bis 10 Pfund vollständig begleichen, hieß es am 25. September 1941. Für Forderungen über 10 Pfund sollten diese plus 2/3 der darüberhinausgehenden Ansprüche ausgezahlt werden. „Es ist nicht erwünscht, dass diese Formel mitgeteilt wird“, wird noch angemerkt.

Gänzlich unbezahlbar und von den Briten nicht beabsichtigt war eine Abgeltung für den Verlust von Freiheit und Arbeit, die Trennung von der Familie, für vernichtete Visa und Dokumente. Das abgesehen von wertvollen religiösen Gegenständen, die unter Lebensgefahr aus brennenden Synagogen vor den Nazis gerettet worden waren.

Rund 450 Dunera Boys konnten gar nichts anmelden. Nachdem sie während der Versenkung der Arandora Star gerade einmal ihre Leben retten konnten, blieb ihnen nur, was sie am Körper trugen. Für ihre Verluste wollte Großbritannien nicht verantwortlich sein.

Dunera vor dem Kriegsgericht: Nichts hören, nichts sehen, …

Regierung und Militär zögerten Ermittlungen gegen Offiziere und Mannschaften der Pioniereinheit, die die Wachmannschaften der Dunera stellte, hinaus. Zuerst wurde ein „Court of Inquiry“ – eine Untersuchungskommission – einberufen. Nach deren Ermittlungsergebnis war ein Kriegsgerichtsverfahren nicht zu vermeiden. Das begann Anfang 1941. Jedoch wurden nur der Kommandant der Wachmannschaft und zwei seiner Unteroffiziere angeklagt.

Markant ist: Das Kriegsgericht hatte die Angeklagten nicht vom Dienst abgezogen, sondern abgewartet, bis diese – und weitere Zeugen aus ihrer Einheit – nach Verrichtung ihrer auswärtigen Aufgaben nach England zurückgekehrt waren. Auf der anderen Seite lagen dem Gericht u.a. zwar das Memorandum der Internierten von Camp 7 und das Statement der Insassen von Camp 8 vor. Jedoch wurde kein einziger Betroffener als Zeuge vernommen. Unerwünscht war auch, ihre Aussagen z.B. von der britischen Botschaft in Australien aufnehmen zu lassen. „Ist es möglich, eine zufriedenstellende Untersuchung ohne Zeugen durchzuführen?“, fragte die Abgeordnete Eleanor Rathbone[12] Parlamentsprotokoll vom 3.2.1942, abgefragt am 17.9.2023. am 3. Februar 1942 im Unterhaus.

Der stellvertretende Kommandeur der Dunera-Wachen Captain W.J. Baggulay bezeugte vor dem Gericht[13] „News Chronicle“ am 21.5.1941 im Bericht vom Militärgerichts-Verfahren. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 131. u.a., „er hätte gehört, dass es ein Tauschsystem der Soldaten und der Internierten gegeben hätte, um Zigaretten, Schokolade und anderen Luxus aus der Schiffskantine zu bekommen. Jeder Tausch konnte nur mit dem persönlichen Eigentum geschehen, das ein Internierter bei sich hatte und nicht damit, was im Koffer in Gepäckraum war.“ Das Gericht scheint dem Widerspruch nicht nachgegangen zu sein, dass die Internierten über Tauschobjekte verfügt haben sollten, nachdem ihnen das Gepäck und der Inhalt ihrer Taschen weggenommen worden waren. Die angeblich an solchen Tauschaktivitäten beteiligten Soldaten wurden ebenfalls nicht befragt, aber die Internierten wurden vor dem Gericht kriminalisiert. Geschah das, um den Ruf des Militärs so wenig wie möglich anzukratzen?

… fast nichts strafen

Entsprechend fielen die Strafen aus. Sergeant Major Charles Albert Bowles konnte sich einigen der 21 Anklagepunkte nicht entziehen. Er hatte u.a. anderen Sergeants jeweils 10 Shilling aus dem Eigentum von Internierten gegeben. Man habe aber die Eigentümer des Geldes nicht identifizieren können, so dass eine Rückgabe bei angeblich besten Willen unmöglich gewesen sei. Bowles wurde sogar positiv angerechnet, dass er Wertsachen von Internierten, die ihm Untergebene übergeben hätten, mangels namentlicher Kennzeichnung ebenfalls nicht habe zurückgeben können und daher einbehalten habe. Dass die Wertsachen der Internierten im Grunde fast vollständig „verschwunden“ waren, hat das Gericht offenbar nicht bekümmert. Der Mann wurde zu einem Jahr Haft verurteilt und aus dem Dienst entlassen. Das mutet wie ein Freispruch an, durch den der Mann den Weltkrieg ungeschoren überleben durfte.

Sergeant Arthur Helliwell[14] Trotz der falschen Schreibweise im Statement der Internierten von Camp 8 ist die Identitä... war angeklagt, einem „mittelalten Mann mit großer Gewalt einen Ring vom Finger gezogen“ zu haben. Nachdem dieser sich beschwerte, habe Helliwell den Finger untersucht, so sein Gegenargument. Der nervöse Mann sei vor ihm auf die Knie gesunken. Helliwell habe daher seine „Hand unter dessen Kinn gehalten und ihn hochgehoben“, so die verniedlichende Darstellung des Angeklagten.

„Robert Grothey kam wegen einer Denunziation, die sich später als Irrtum erwies, in die Zelle. Er wurde die Treppe heruntergestoßen und von Sergeant Holliwell getreten – in Anwesenheit von Lt. O’Neill, der in der Zelle danebenstand. Dann schlug ihm Sergeant Holliwell dreimal mit der Faust ins Gesicht und beschimpfte ihn, wiederum in Anwesenheit von Lt. O’Neill.“

Stellungnahme der Internierten von Camp 8.

Zwei weitere Anklagen betrafen Helliwells Verhalten während des Fluchtversuchs den als psychisch krank bekannten Internierten Waldemar Eckfeld im Hafen von Melbourne. Die Internierten berichteten darüber:

„Er erhielt mehrere Schläge ins Gesicht, erlitt eine Fraktur des Nasenbeins, hatte Schwellungen im ganzen Gesicht und ihm wurde ein Zahn ausgeschlagen.“

Stellungnahme der Internierten von Camp 8.

Die Anklage warf Helliwell vor, er hätte den Internierten bei dem Fluchtversuch tätlich angegriffen bzw. es unterlassen, den Mann vor Misshandlungen zu schützen. Helliwell ging mit einer strengen Rüge zurück in den Dienst.

Der kommandierende Offizier Major William Patrick Scott wurde von der Anklage freigesprochen, er habe gegenüber seinen Soldaten den Eindruck erweckt, die (gerichtlich nicht untersuchten) Diebstähle geduldet zu haben. Jedoch habe er verabsäumt, einen Fall von Gewalt gegen einen Internierten (Eckfeld) zu untersuchen. Das reichte den Richtern nur für eine „strenge Rüge“.

Nach einer Mitteilung des Kriegsministers Margesson über das Urteil im Unterhaus fragte der Abgeordnete Wedgwood: „Verstehe ich richtig, dass gegen ihn keine Anklage wegen Plünderung der Internierten an Bord erhoben wurde?“ Margesson[15] Parlamentsprotokoll vom 14.10.1941, abgerufen am 20.9.2023.: „Die Anklagen sind in meiner Antwort dargelegt.“

Das Militärgericht verzichtete auch auf eine Anklage wegen seiner antisemitischen Äußerungen, die durch ein Schreiben Scotts an eine Stelle der australischen Armee aktenkundig ist. Dort hatte der Offizier seinem Hass auf Juden Luft gemacht:

„Man kann sie nur als aufrührerische, fordernde und arrogante Lügner bezeichnen (…). Sie werden jede Person vom Premierminister bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten als persönliche Referenz zitieren, und ihnen ist weder in Wort noch in Taten zu trauen.“

Funkspruch Scott[16] Scott per Funk von See am 2.7.1940 an das Informationsbüro der australischen Armee für Kriegsgefangene. Zit. n. Dunera News Nr. 27,. Seite 18. vom 2.7.1940.

Leutnant John O’Neill[17] Wikipedia (engl.) über O’Neill, abgerufen am 1.9.2023., den die Internierten u.a. in mehreren Fällen der schweren Körperverletzung des Diebstahls und der Duldung von Gewalt und Raub beschuldigten, wurde überhaupt nicht angeklagt. Er trat als Zeuge auf, um seine Kumpane zu entlasten. Er starb am 16. Oktober 1942 an einer Herzattacke.

Nach Ende der Kriegsgerichts-Verfahren wurde dem britischen Unterhaus Folgendes über die Verfahren mitgeteilt:

„Es gibt keine Beweise dafür, dass die Schiffsbesatzung oder die Marineinfanteristen an den Vorwürfen beteiligt waren, die Gegenstand der Untersuchung des Kriegsgerichts waren. Die Beweise vor dem Kriegsgericht haben nicht gezeigt, dass der befehlshabende Offizier wusste, dass Gegenstände der Internierten von den Truppen entwendet wurden oder dass keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen über das entwendete Eigentum geführt wurden.

Kriegsminister Margesson[18] Kriegsminister Margesson am 9.9.1941 im Unterhaus, abgerufen am 25.9.2023. am 9.9.1941 im Unterhaus.

Selbstverständlich lässt sich eine nicht ordnungsgemäße Führung nicht beweisen, wenn Unterlagen gar nicht erst angefertigt werden. Nichts getan und davon nichts gewusst …

„Ein Appell für Gerechtigkeit und Menschlichkeit“

Die britische Regierung ließ sich nach der ersten Aufregung im Unterhaus im Spätsommer 1940 Zeit bis zum März 1941 für konkrete Aktivitäten bezüglich der in Australien Internierten, obwohl die rund 2.300 Männer, Frauen und Kinder[19] Zeitgleich mit der Dunera wurde eine kleine Gruppe jüdischer Flüchtlinge aus Singapur mit der Queen Mary nach Australien gebracht und in einem der Tatura-Lager interniert. Vgl. Beiträge über Franz Lebrecht, Leon Gottlieb., die mit der Dunera und der Queen Mary nach Australien gebracht worden waren, den Status befreundeter Ausländer und Verbündeter zurückbekommen hatten. Das war das Ergebnis der politischen Kehrtwendung, die während ihrer Überfahrt stattgefunden hatte.

Der britische Verbindungsoffizier Major Julian Layton betrieb ab dem Frühjahr 1941 gut ein Jahr lang die Entlassung von etwa 1.135 jüdischen Internierten, die sich britischen Pionier-Einheiten anschließen wollten, in England für andere kriegswichtige Aufgaben eingesetzt wurden oder Visa für Drittstaaten hatten. Und er organisierte ihre Reisen. Es gab 47 Opfer[20] Major Layton in einem Interview, undatiert, zit. n. Bartrop/Eisen aao, Seite 101. durch Torpedierungen von vier Rücktransporten.

Die zum Bleiben in den Lagern gezwungenen Juden und Nazigegner sahen sich letztlich in eine ungerechtfertigte Schandecke gestellt. In ihrem „Appell für Gerechtigkeit und Menschlichkeit“ fassten sie im Mai 1941 – also ein Jahr nach Beginn der britischen Internierungen – die Widersprüche und Probleme ihrer Situation auf sieben Seiten zusammen und richteten ihren „Appell für Gerechtigkeit und Menschlichkeit“ an die australische Regierung und andere Behörden. Darin verwahrten sie sich u.a. gegen die Behandlung als Kriegsgefangene und die Postzensur und prangerten die Entscheidungsfaulheit der Regierungen an. Sie hoben hervor, dass sie bereit sind mit ihren beruflichen Qualifikationen Australien im Krieg zu unterstützen, während sie von den Briten zum Armeedienst eingeladen wurden.

Es sei wohl kaum verwunderlich, wird in dem Appell rhetorisch gefragt, „dass wir – in Großbritannien als Verbündete anerkannt – uns nach einem Jahr Internierung wegen des fortgesetzten Missverstehens unserer wahren Position gedemütigt fühlen und zutiefst deprimiert sind.“

Die Räumung der Lager in Tatura

Es sollte jedoch ein weiteres Jahr dauern, bis die verbliebenen Internierten offiziell in Freiheit waren. Die meisten von ihnen wollten in Australien bleiben. Angesichts des durch den Armeedienst der Australier verursachten Mangels an Arbeitskräften, richtete die Armee zahlreiche unbewaffnete Arbeitseinheiten ein. Ehemalige Flüchtlinge, die im Land bleiben wollten, konten sich ab dem Frühjahr 1942 „freiwillig“ für die speziell für sie eingerichtete 8th Employment Company nelden. „Wir verteidigen die 70. Verteidigungslinie“, mokierte sich der Queen Mary-Internierte Franz Lebrecht. Wie viele seiner Kameraden hätte er den Faschismus gerne mit der Waffe bekämpft. Viele Männer dieser Einheit nutzten den schweren Dienst, um die Einbürgerung oder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für Australien zu beantragen.

Mitte 1942 waren die Lager der Dunera– und Queen Mary-Internierten im Wesentlichen aufgelöst. Zeitgleich wurde der Status der internierten deutschen Seeleute und Geschäftsleute geändert: Sie wurden nun als „Prisoners of War“ geführt. Das betraf u.a. die 250 Überlebenden der Arandora Star, die auf der Dunera nach Australien gebracht worden waren. Viele von Ihnen blieben bis 1947 in australischem Gewahrsam[21] Vgl. die Personalakten der Männer im Australisches Nationalarchiv NAA..

In Großbritannien selbst waren nach der politischen Änderung bis Ende 1940 rund 8.000 der 19.000 hinter Stacheldraht gehaltenen Internierten freigelassen worden. Nach Regierungsangaben schlossen sich – ohne Berücksichtigung der aus Australien Retournierten – 1.273 Männer dem britischen Pioneer Corps an. Bis 1942 waren dennoch 5.000 Menschen – vor allem auf der Isle of Man – in britischer Haft[22] Vgl. Blog von The National Archives (UK), abgerufen am 20.9.2023.. Es ist aber unklar, ob das nur Kriegsgefangene oder auch Zivilinternierte waren.

Randglosse: Wiedergutmachung durch Deutschland

Mit den Zahlungen für die auf der Dunera erlittenen materiellen Verluste war das Thema Schadenersatz für die britischen Behörden erledigt. Verfahren von Internierten um Schmerzensgeld, Schadenersatz wegen der Freiheitsberaubung, beruflicher Schäden usw. sind nicht bekannt.

Wenig bekannt ist, dass in Deutschland Ansprüche nach §43 des Bundesentschädigungsgesetzes[23] Bundesentschädigungsgesetz, abgerufen am 30.8.2023. geltend gemacht werden konnten. Dies betraf u.a. den Freiheitsentzug im Ausland, sofern dieser „unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze“ erfolgte und die betroffene Person „die deutsche Staatsangehörigkeit oder den Schutz des Deutschen Reiches verloren“ hatte. Darauf konnten sich vor allem Juden berufen, denen die Nazis die Staatsbürgerschaft pauschal genommen hatten. Wieviel Dunera Boys das wahrgenommen haben ist nicht bekannt. Unterlagen aus zwei Verfahren zeigen – wie bei vielen Verfahren um Entschädigung und Wiedergutmachung – das geringe Interesse und bürokratische Verhalten der befassten deutschen Behörden.

Dunera Boy Dr. Fritz Kassel gehörte zu den jüdischen Passagieren der Skandalfahrt der St. Louis[24] Kuba und die USA verweigerten im Mai/Juni 1939 die Aufnahme von 937 jüdischen Passagieren der St.Louis. Wieder in Europa konnten 254 in England von Bord. Wikipedia über die Irrfahrt der St. Louis, abgerufen am 25.8.2023., die das Glück hatten, im Juni 1939 in Großbritannien an Land gehen zu dürfen. Ihm blieb das Schicksal derer erspart, die anderswo in Westeuropa aufgenommen wurden und kurz darauf durch den Krieg wieder in die Fänge der Faschisten gerieten. Kassel erstritt 1972 nach zehn Jahren Rechtsstreit die Zahlung einer Entschädigung von 4.350 DM. Das Oberlandesgericht Mainz[25] Fritz Kassel vs. Rheinland-Pfalz, OLG Mainz AZ 5 U (WG) 43/7, Blatt 91 vom 15.1.1972; Familienarchiv Dehn. übernahm in zweiter Instanz die umfangreiche Darstellung der Klageschrift in das Urteil. Die „unzureichende Unterbringung und Verpflegung, besonders demütigende Behandlung“ und die Durchführung eines Transports zum Internierungslager, die „mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar“ war, sind einige Punkte daraus. Abgesehen von den üblen Zuständen auf der Dunera konnte Kassel aus den Lagern Huyton bei Liverpool und auf der Isle of Man nichts berichten, was den britischen Verantwortlichen Pluspunkte gebracht hätte.

Heinz Dehn stellte einen ähnlichen Antrag in Westberlin[26] Heinz Dehn vs. Berlin, Landgericht Berlin, AZ 191. O. Entsch. 421,74; Familienarchiv Dehn.. Über seinen knapp zweimonatigen Aufenthalt im Lager Ramsey auf der Isle of Man schrieb er in der Klageschrift u.a.:

„Hier waren in aller Eile die Häuser in einem Teil des Ortes freigemacht worden und das Gebiet mit Stacheldraht umzäunt worden. Die Inhaber der Häuser hatten nur das Allernotwendigste zurückgelassen. Ich selbst schlief in einem fensterlosen kleinen Raum, gerade groß genug für die Unterbringungen der Schlaggelegenheit. Luftzufuhr erhielt der Raum, indem über Nacht die Tür nicht geschlossen wurde.“

Aus der Klageschrift von Heinz Dehn.

Der fünfseitige Bericht von Heinz Dehn für das Gericht über seine Zeit in KZs und Internierung beschäftigte sich auch mit den Ereignissen während der zweimonatigen Reise auf der Dunera. Heinz Dehn konnte nach mehrjährigem Verfahren 1.500 DM erstreiten.

Nachtrag: „Keine Angelegenheit einer Entschuldigung“

Am 26. Juni 1990 fragte Lord Avebury im House of Lords die britische Regierung, ob es nicht anlässlich des 50. Jahrestages des Dunera-Skandals an der Zeit sei, sich bei den Überlebenden „für die Behandlung durch die britische Regierung im Jahr 1940 zu entschuldigen“. Er forderte den Zugang der Öffentlichkeit zu den Unterlagen des Militär- und des Untersuchungsgerichts. Für die damalige Thatcher-Regierung verzichtete der Minister Lord Ullswater[27] Parlamentsprotokoll vom 26.6.1990, abgerufen am 23.9.2023. auf eine historische Neubewertung und wiederholte die alte Ausrede: Man habe wegen der befürchteten Invasion schnell handeln müssen. „Die Deportation erfolgte auf der Grundlage der damals geltenden und vom Parlament gebilligten Rechtsvorschriften.“

Mit dieser Bemerkung griff Ullswater – sicherlich ungewollt – das Argument des „Befehlsnotstandes“ auf: Naziverbrecher versuchten sich in Westdeutschland einer Verurteilung mit dem Argument zu entziehen, sie hätten nach geltenden Gesetzen gehandelt und sich daher für nichts zu verantworten. Der Rest von Ullswaters Ausführung ist nur noch zynisch: „Obwohl die Regierung volles Verständnis dafür hat, dass diese Maßnahme für die Betroffenen unweigerlich schmerzhaft war, sieht sie diese, wie frühere Nachkriegsregierungen beider Parteien, nicht als eine Angelegenheit der Entschuldigung.“ Mit Blick auf das Kriegsgericht fügte er an: „Die Unterlagen der angeklagten Personen erfüllten nicht die Kriterien für eine dauerhafte Aufbewahrung und wurden vor einigen Jahren vernichtet“.

„Die dunkle Seite des Kampfes Großbritanniens gegen Nazi-Deutschland wird bis 2040 durch das britische Gesetz zur Wahrung von Staatsgeheimnissen unter Verschluss gehalten“, recherchierte eine australische Zeitung[28] "Britons finally learn the dark Dunera secret" in „The Sydney Morning Herald“ vom 19. Mai 2006, abgerufen am 25.9.2023. 2006. Die Chance, „diese besudelte Seite unserer Geschichte[29] Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023.“ zu beseitigen und sie der Nachwelt „gesäubert und neu geschrieben“ zu übergeben, wurde bis heute vertan.

Das darf man wohl mit Recht als „bedauerlichen und beklagenswerten Fehler“ bezeichnen.

Fußnoten

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  • [1]Vgl. Wikipedia über die HMT Dunera, abgerufen am 26.8.2023.
  • [2]„19 Wasted Months“ von Dunera Boy Kurt Lewinski, zit. n. Bartrop/Eisen „The Dunera Affair“, Seite 221.
  • [3]Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023.
  • [4]Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023.
  • [5]Die britischen Tribunale sollten Flüchtlinge in die Kategorie „C“ einordnen, ergaben sich Zweifel war die Kategorie „B“ zu wählen. Für eindeutige Nazis und Sympathisanten war die Kategorie „A“ mit sofortiger Haft verbunden.
  • [6][1] Innenminister Herbert Morrison im Unterhaus. Zit.n. Newsame, britisches Innenministerium, am 22.10.1941 an Major Wheeler, Büro des australischen Hochkommissars. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216015, Seite 74.
  • [7]Memo zum Geheimdienst-Wochenbericht für den 11.-18.10.1940. Zit. N. Bartrop/Eisen aao., Seite 65.
  • [8]Verschlüsseltes Telegramm vom 8.5.1941 der britischen Hohen Kommission an das Dominions Office (Stelle der britischen Regierung, verantwortlich für die Beziehungen zu Kolonien. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 116.
  • [9]Major Julian Layton wurde in England als Sohn ausgewanderter deutscher Juden geboren, hatte sich im Kitchener Camp engagiert und fungierte nun als Verbindungsoffizier des britischen Innenministeriums in Australien, wo er die Internierungslager abwickelte.
  • [10]Geheimtelegramm des australischen Premierministers an den High Commissioner für Australien in London vom 27.5.1941, Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 189.
  • [11]Schreiben des Kriegsministeriums an den britischen Vertreter in London vom 25.9.1941. NAA_ItemNumber216015, Seite 143.
  • [12]Parlamentsprotokoll vom 3.2.1942, abgefragt am 17.9.2023.
  • [13]„News Chronicle“ am 21.5.1941 im Bericht vom Militärgerichts-Verfahren. Australisches Nationalarchiv NAA, NAA_ItemNumber216013, Seite 131.
  • [14]Trotz der falschen Schreibweise im Statement der Internierten von Camp 8 ist die Identitä...
  • [15]Parlamentsprotokoll vom 14.10.1941, abgerufen am 20.9.2023.
  • [16]Scott per Funk von See am 2.7.1940 an das Informationsbüro der australischen Armee für Kriegsgefangene. Zit. n. Dunera News Nr. 27,. Seite 18.
  • [17]Wikipedia (engl.) über O’Neill, abgerufen am 1.9.2023.
  • [18]Kriegsminister Margesson am 9.9.1941 im Unterhaus, abgerufen am 25.9.2023.
  • [19]Zeitgleich mit der Dunera wurde eine kleine Gruppe jüdischer Flüchtlinge aus Singapur mit der Queen Mary nach Australien gebracht und in einem der Tatura-Lager interniert. Vgl. Beiträge über Franz Lebrecht, Leon Gottlieb.
  • [20]Major Layton in einem Interview, undatiert, zit. n. Bartrop/Eisen aao, Seite 101.
  • [21]Vgl. die Personalakten der Männer im Australisches Nationalarchiv NAA.
  • [22]Vgl. Blog von The National Archives (UK), abgerufen am 20.9.2023.
  • [23]Bundesentschädigungsgesetz, abgerufen am 30.8.2023.
  • [24]Kuba und die USA verweigerten im Mai/Juni 1939 die Aufnahme von 937 jüdischen Passagieren der St.Louis. Wieder in Europa konnten 254 in England von Bord. Wikipedia über die Irrfahrt der St. Louis, abgerufen am 25.8.2023.
  • [25]Fritz Kassel vs. Rheinland-Pfalz, OLG Mainz AZ 5 U (WG) 43/7, Blatt 91 vom 15.1.1972; Familienarchiv Dehn.
  • [26]Heinz Dehn vs. Berlin, Landgericht Berlin, AZ 191. O. Entsch. 421,74; Familienarchiv Dehn.
  • [27]Parlamentsprotokoll vom 26.6.1990, abgerufen am 23.9.2023.
  • [28]"Britons finally learn the dark Dunera secret" in „The Sydney Morning Herald“ vom 19. Mai 2006, abgerufen am 25.9.2023.
  • [29]Parlamentsprotokoll vom 22.8.1940, abgerufen am 23.9.2023.

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