Aus den Regeln für australische Internierungslager:
Peter Dehn, Juni 2025.
„Das Veranstalten politischer Treffen oder Treffen auf denen politische Propaganda gemacht wird oder wo Nazi- oder faschistische Prinzipien empfohlen, befürwortet oder zu diesen gedrängt wird, ist streng verboten[1] Regeln für Camp 9, Südaustralien. National Archives of Australia, NAA_ItemNumber81274 – Blatt 5, Ziffer 6.4.“.
„(5) Das Zeigen von nationalsozialistischen oder faschistischen Emblemen, Zeichen oder Gravuren auf dem Gelände ist verboten.“
„(15) Das Schikanieren von Internierten[2] Zit.n. „Ein Appell der Internierten“. oder Kriegsgefangenen, die Antinazi- oder antifaschistischen Ansichten vertreten, oder aus anderen Gründen, ist verboten.“
Freiräume für Nazis
Im Lager Tatura 1 wurden im Wesentlichen Australier deutscher Abstammung und in Australien berufstätige Deutsche, als „enemy aliens“ – feindliche Ausländer – interniert. Viele waren bekennende Nazis, die australischen Behörden hielten einige von ihnen für potenzielle Spione, ohne ihnen jedoch etwas nachgewiesen zu haben. Zahlreiche Dokumente im Nationalarchiv Australiens verdeutlichen, dass das Verbot von Nazi-Aktivitäten zumindest in einigen Compounds der Tatura Camps 1 und 3 nicht praktiziert wurde.
In den Unterlagen des australischen Nationalarchivs NAA über die Tatura-Camps fällt der Name Dr. Franz Joseph Haslinger[3] Dr. jur. Franz J. Haslinger (*8.8.1902) war seit April 1938 NDSAP-Mitglied und als Vertreter für Auto Union seit Ende 1938 in Australien tätig. NAA_ItemNumber428433 enthält u.a. Befragungsprotokolle von Haslinger und Frau (Seite 97ff) sowie Nazi-internen Briefwechsel. besonders auf. Er war Ende 1938 als Vertreter für Auto Union nach Australien gekommen. Er knüpfte Kontakte im ganzen Land, um PKWs der Marke DKW zu verkaufen. Der Spionage verdächtig machte ihn ein Kneipengespräch über Militärisches. Er war NSDAP-Mitglied seit 1938. Sofort nach Kriegsbeginn wurde er verhaftet. In seiner Wohnung fand man u.a. eine SA-Uniform. Zunächst im Camp Tatura 1, später im Camp 3, gelang es den Nazis, ihn in Führungspositionen zu lancieren. Im Rahmen der Camp Schule trat er u.a. mit Vorlesungen über die Politik der Nazis[4] Führungsbericht des Lagerkommandanten über Haslinger vom 6.12.1944. In NAA_ItemNumber428433 Seite 90. hervor.
Bei einer Befragung 1946 durch eine australische Behörde bezog er u.a. antisemitische Positionen. Zu seiner NSDAP-Mitgliedschaft und zum Parteiprogramm erklärte er: „Meine Ansichten haben sich überhaupt nicht geändert[5] Befragung Haslingers vom 27.2.1946. In NAA_ItemNumber428433, Seite 98..“ Gerade in Australien angekommen, hatte er vor Journalisten behauptet, die dortige Berichterstattung über Deutschland bestehe aus Propagandalügen. 1945 danach befragt ergänzte er, diese Lügen seinen von Nazigegnern[6] Ebenda und The Herald Melbourne vom 27.2.1946, Seite 5, abgerufen am 10.3.2025. lanciert worden, die ins Ausland geflüchtet waren. Seine Frau Ilse wurde erst 1942 interniert. 1947 wurden beide über England nach Deutschland abgeschoben.

„Mein Kampf“ und ein weiteres Buch Hitlers wurden während des Krieges in Australien öffentlich gehandelt. Diese Auslage eines Bookshops wurde am 26. September 1942 in Melbourne für die Zeitung „Herald“ fotografiert. (Australian War Memorial Nr. 136881, public domain).
Robert Menzies[7] Wikipedia über Robert Menzies (1894 - 1978) und Joey Watson, „A brief history of Nazism in Australia“, ABC online 16.1.2019, abgerufen am 10.6.2025, australischer Ministerpräsident von 1939 bis 1941 und 1949 bis 1966, hatte nach einem Besuch Nazideutschlands 1938 erklärt, dass die „Preisgabe der individuellen Freiheit durch die Deutschen … etwas Großartiges hat“. Kein Wunder, dass sich Nazis in Australien von solchen Sympathien für die Hitler-Diktatur bestärkt fühlten.
Alles voll unter Kontrolle
Der Wochenbericht Nr. 58[8] Wochenbericht des Militärgeheimdienstes Nr. 58 vom 12.2.1944 (Auszug), NAA_ItemNumber428433 aao. Seite 11. des australischen Militärgeheimdienstes vom 19. Februar 1944 über die Tatura-Lager gesteht ein: „Der Grad, in dem die Campleitung faktisch von den internierten Mitgliedern und Funktionären der Nazipartei kontrolliert wurde, war immer eine Frage von Vermutungen, aber nach den übersetzten Dokumenten scheint es, dass in den Lagern Nr.1 und Nr.3 die Partei die Vertretung vollständig kontrolliert.“
Wie weit Nazis das Geschehen in „ihren“ Lager-Compounds kontrollierten geht u. a. aus einem Dokument von 1943 hervor. Darin erteilt der „stellvertr. Landeskreisleiter NSDAP“ Arthur Wolf[9] Der Maschinenbauingenieur (*1897) war seit 1931 in Australien. dem „lieben Parteimitglied Dr. Haslinger … nach seiner „jahrelangen erfolgreichen Tätigkeit als Lagerführer im Internierungslager 1, Tatura“ und dem Wechsel ins Camp 3 den Auftrag, mit
„voller Autorität die Interessen aller Deutschen, welche bei Kriegsausbruch im australischen Regierungsgebiet wohnten und welche in diesem Lager interniert sind, zusammen mit Kamerad E. Wildermuth, aber mit gleicher Befugnis, in der Vereinigten Lagerleitung dieses Lagers bis auf Widerruf an meiner Stelle wahrzunehmen. (…) Ihre Beauftragung erfolgt mit Einverständnis der Ogl Pg[10] NSDAP-Kürzel für Ortsgruppenleiter und Parteigenosse. W. Weber[11] Waldemar Weber, NSDAP-„Ortsgruppenleiter“ von Sydney, war mit einer Nazi-Vorstellung an den Vorfällen im Camp 3 am 28.9.1941 beteiligt und wurde daraufhin ins Camp 1 versetzt. Vgl. dunera.de über Schikanen gegen Juden im Camp 3. für Sydney und Pg E. Wildermuth für Melbourne.“
Unterzeichnet[12] Arthur Moritz Wolf an F.J. Haslinger im Camp 3 Tatura am 18.5.1943 (deutsche Fassung). In NAA_ItemNumber42843 aao., Seite 119. ist das „Mit Deutschem Gruss Heil Hitler“.
„Café Wellblech“ und „Brennessel“
Zunächst sorgten die Nazifunktionäre dafür, dass ihr Pg Haslinger – nach australischer Einschätzung „eines der prominentesten Mitglieder der NSDAP[13] Wochenbericht in NAA_ItemNumber428433 aao, , Seite 105 in Australien“ – 1941 zum Camp Leader „ihres“ Compounds von Tatura 1 gewählt wurde. In dieser Funktion beteiligte er sich an der Installierung einer NSDAP-Kommunikationsplattform.
Dreh- und Angelpunkt dieser Aktivitäten war das „Café Wellblech“. Mit Genehmigung der Militärbehörden wurden die Lagerinsassen dort mit Kaffee und Selbstgebackenem bewirtet. Diese Baracke wurde zum Zentrum von Nazi-Treffen. Dort entstand sogar in aller Heimlichkeit die Zeitschrift „Brennessel“, wovon bis zu sechs Ausgaben erschienen sein sollen. Später wurde noch ein „Café Westwall[14] Eine Anspielung auf die von den Nazi erbaute Befestigungslinie an der Grenze zu Frankreich.“ mit Kegelbahn etabliert.
Erhalten ist eine der „Brennessel“-Ausgaben mit den Unterzeilen „Hinter Stacheldraht“ und großspurig „Im Eigenverlag d. Internierungslagers Tatura Australien“ auf dem Titel. Nummer 6 war 1941 dem Nazigedenktag zu Hitlers geplatztem Putsch[15] Wikipedia über den Hitlerputsch, abgerufen am 15.2.2025. am 8. und 9. November 1923 gewidmet und erschien also kurz nach den Vorfällen im Lager 3, die durch Naziaktivitäten ausgelöst wurden. Das Titelblatt zeigt den Slogan „Und ihr habt doch gesiegt“ und einen Reichsadler mit Hakenkreuz. Ein längerer Artikel sieht die Heimat „mit starken Schritten … den Weg zur Freiheit“ gehen und ist voller Nazi-Propagandagewäsch. Die Nazis waren sich offenbar sicher, bei ihrem Tun nicht erwischt und bestraft zu werden: Der Text ist mit „F.J.H.“ unterzeichnet, was nur für Haslinger stehen kann.

Nazi-Propaganda verboten? 1941/42 erschienen mehrere Ausgaben des heimlich (aufwändig mit mehrfarbigen Titelblatt und Hakenkreuz gedruckten) Blättchens. Quelle: Victorian Collections ID C7679.
Nazis im Lageralltag ohne jede Tarnung
Camp Leader Franz Josef Haslinger hinterließ nicht nur dort eindeutige Spuren. Im täglichen Bulletin von Camp 1 unterzeichnete er am 30. September 1941 eine Notiz über die Rückkehr von W. Weber als „nationalsozialistischer Camp Leader und zugleich als Kandidat der offiziellen NSDAP-Funktionäre[16] Notiz im Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 12. in diesem Lager.“ Allein die Existzenz „offizieller NSDAP-Funktionäre“ trotz des Verbots von Naziaktivitäten gibt zu denken.
Zwei Tage nach den Vorfällen im Camp 3 blieben die Lager-Nazis in der Offensive und feierten ihren „Ortsgruppenleiter“ Waldemar Weber[17] Waldemar Weber war NSDAP-Chef von Sydney. Er war vom Lager 1 ins Lager 3 verlegt worden, um mit seiner Frau Irma Nora zusammen zu sein. Beide waren 1937 nach Australien gekommen. Vgl. Personalakten im NAA, NAA_ItemNumber9902329, NAA_ItemNumber8613358, NAA_ItemNumber8613829 und NAA_ItemNumber9902792; abgerufen am 20.12.2024., der eine lautstarke Provokation der Nazis gegen die Juden des Nachbar-Compounds mit „Heil Hitler“-Rufen und dem Nazigruß bejubelt hatte und daraufhin ins Camp 1 zurück verlegt wurde.
In einem Schreiben vom 5. September 1940, forderten die NSDAP-Chefs für Western Australia, New Guinea, Victoria und South Australia – alle interniert im Camp 1 – den Haslinger auf, „die Aufgaben des Camp Leaders im A-Compound und wenn notwendig zugleich die externe Vertretung des zusammengefassten Internierungslagers Tatura“ zu übernehmen. „Um Missverständnisse zu vermeiden“ heißt es weiter, besitze Haslinger „die vollständige Autorität[18] E.O. Wildermuth an Haslinger am 5.9.1940, Anhang zum Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 13. für die Erhaltung von Frieden und Ordnung im Lager, die Aufrechterhaltung der Disziplin und den Schutz des deutschen nationalsozialistischen Geistes im und außerhalb des Lagers“. (Hervorhebungen dunera.de)
Was trotz des Verbots nazistischer Betätigung im Lager noch möglich war, belegt nicht nur ein Kurzbericht der „Brennessel“ über einen „Kameradschaftsabend“ am 5. November 1941. Im folgenden Absatz heißt es: „Da das ‚Tor‘ immer noch geschlossen ist, wurden fuer das bevorstehende Wochenprogramm und für die Lagerfeier des 9. November Zugestaendnisse[19] Gemeint ist der Hitlerputsch vom 8./9.11.1923. gemacht, die eine gemeinsame Durchfuehrung der Veranstaltungen ermöglichten.“ Hier wurde auf die zeitweise Öffnung des Zugangs zwischen den Compounds anlässlich des Nazi-Feiertages angespielt, was nur mit Genehmigung des Kommandanten möglich war.
Eine andere Quelle berichtet über Äußerungen von Insassen[20] David Henderson, „Bycatch of War: The German-Australien Internees 1939-1945“ (2006), abgerufen am 10.3.2025. Der Autor ignoriert die Rolle der Nazipartei im Lager; es hätte nur „einige glühende Nazis“ gegeben und andere, die sich „ein starkes Gefühl der Loyalität gegenüber dem Vaterland bewahrt“ hatten. Die Quelle der „Chronik“ wird nicht genannt.:

Aus den Geheimdienstakten: „… werden Sie alle erforderlichen Maßnahmen für die Durchführung von Wahlen entsprechend der Anweisungen durchführen“.
„Innerhalb einiger Quartiere des Tatura Internierungslagers stieß jeder deutsche Sieg auf Zustimmung und in der Chronik heisst es: ‚Wir marschierten, um die deutschen Siege zu feiern, trotz des Befehls der Lagerleitung‘.“ Der Autor der Quelle setzt fort: „Es ist schwer vorstellbar, wie sich die Lagerleitung gefühlt haben muss, als sie mit ansehen musste, wie ihre Gefangenen im Stechschritt die Umgrenzung des Lagers entlangliefen, um Hitlers Erfolge auf dem Schlachtfeld zu feiern.“
Ein weiterer Bericht belegt, dass im Camp 1 Lieder mit Nazi-Inhalt gesungen wurden: „Die Hitler-Anhänger hielten trotzig an ihrer Überzeugung fest und schmetterten ihr ‚Tatura-Lied[21] Zit. n. Albrecht Dümling "Die verschwundenen Musiker", Weimar, Wien 2011, Seite 226.‘ mit dem Refrain“
„Geduld, Kameraden, und frohen Mut
Hat Deutschland gesiegt,
ist alles wieder gut“.
Dass die Kommandantur nicht wußte, zu welcher Musik man unter ihrer Aufsicht durch das Lager marschierte, scheint ebenso unwahrscheinlich, wie ein Nicht-Wissen um die geplante Nazi-Feier. Wurde hier vorsorglich weggeschaut? Wie fühlt man sich da? Schützt angebliche Unwissenheit vor Strafe?
Nazi-Schlägertrupp im Tatura-Camp?
Aus den Unterlagen wird deutlich, dass die Kandidatur und die Wahl des Internierten-Vertreters im Camp Tatura 1 und später im Camp 3 nur mit dem Segen der NSDAP möglich war. Berichte des Militärgeheimdienstes bestätigen, dass die Nazis dort einen „Ordnungsdienst“ (orderly service, auch als „Sallschutz“ bezeichnet) betrieben. Das stehe für die nazitypische „Politik des starken Arms[22] Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 11.“. Im Lager 1 Compound A und unter Führung Haslingers wurden bis zu 12 solcher Gruppen á sieben Mitglieder gebildet – also ein rund 80 Mann starkes „SA“-Potenzial[23] Anhang F zum Wochenbericht aao. mit Namensliste, Seite 18f in NAA_ItemNumber428433.. „Ich etablierte den Ordnungsdienst mit Zustimmung des Colonel[24] Befragung Haslingers aao., Seite 101.“, rühmte sich Haslinger bei einer Befragung durch australische Beauftragte. Er selbst fungierte als Chef des „Lodi“ (Lagerordnungsdienst, dunera.de). Aufgrund des erwähnten Dienstranges kann nicht der Lagerkommandant (üblicherweise ein Major, dunera.de) sondern nur Lt. Col. William Thomas Tackaberry als Kommandant des für alle Lager in der Region Tatura zuständigen 17. Garrison Battalion[25] Diese Einheit wurde im Juli 1940 gebildet, um die Internierungslager im Raum Tatura zu bewachen. Sie wurde im Juli 1944 aufgelöst. Vgl. Kurzsteckbrief, Virtual War Memorial Australia, abgerufen am 16.1.2025. gemeint gewesen sein.
Ein Tätigkeitsbericht an die Nazioberen im Lager umreißt nach 50 Tagen des Bestehens Anfang November 1940 die Aufgaben und Leistungen des „Saalschutzes“ oder „Orderly Service“. Als Aufgaben werden u.a. die „Hilfe bei der Umsetzung der Aufträge unserer nationalsozialistischen Camp Leader“ und die „Beeinflussung der Mit-Internierten in der Tradition der Heimat“ genannt. Die Struktur des Orderly Service ähnelt der Nomenklatur von Hitlers Mördertruppe SS: Ganz oben stehen „Obergruppenführer“ und „Gruppenführer“. Über den Unterschriften von Haslinger und „Obergruppenführer“ O.H. Kaiser[26] Angesichts der Nachricht, 47 alliierte Piloten seien in Deutschland bei einem Fluchtversuch erschossen worden äußerte kaiser: „Ich wünschte, es wären 47.000 gewesen.“ In: Auszug aus dem Geheimdienstbericht Nr. 16 im Lager Loveday vom 28.7.1944. In NAA_ItemNumber322839, Seite 12. Abgerufen am 8.3.2025. vom 15. Oktober 1940 findet sich der Satz „Der deutsche Gruß[27] Pflichtenliste des Ordnungsdienstes im „deutschen Internierungslager IA“ vom 15.10.1940. Anhang zum Wochenbericht Nr. 58 in NAA_ItemNumber329167, Seite 62, abgerufen am 10.3.2025. ist eure Pflicht“.
Einschreiten bei Widerspruch
Mit unverhohlenem Stolz wird dort u.a. über den Anteil des „starken Arms“ der Kontreolleure hinter den Kulissen bei den Wahlen zum Camp-Leader[28] „History and Report of the Camp Orderly Service“ vom 5.11. 1940 als Anhang zum Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seiten 14f. berichtet:
„Und solche Leute hätten als unverantwortliche Zwischenrufer den Ablauf der Wahl stören können. Es schien notwendig zu sein, den gewünschten Wahlausgang zu gewährleisten. Aus diesem Grund wurden einige junge zuverlässige Personen gesucht, die durch einen Saalschutz die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl gewährleisten sollten. Die Aufgabe dieses ‚Saalschutzes‘ soll hier kurz umrissen werden, um zu zeigen, in welcher korrekten Art und Weise die Wahlen durchgeführt werden sollten, und um zu demonstrieren, was eine kleine disziplinierte Gruppe im Gegensatz zu einem unorganisierten, führerlosen Mob bewirken kann.“ (Hervorhebungen dunera.de).
Im Kampf gegen den „unorganisierten, führerlosen Mob“ ihrer politischen Gegner usw. wurden sechs Regeln aufgestellt, darunter: Opponierende Zwischenrufe sind sofort zu unterbinden. Und: Wer nach Ordnungsruf weiter stört ist ohne Körperverletzung aus dem Saal zu entfernen.
„Die Wahl ging in beispielhafter Ordnung vor sich und das gewünschte Ergebnis wurde ohne Zwischenfall erreicht. Die Anwesenheit der Hall Guard sorgte für ein günstige Atmosphäre. Ein bekannter Opponent versuchte erfolglos, sich dem Team, das ihm im Nacken saß, zu entziehen. Da dieses Team (nämlich Hildebrandt) ihn unaufhörlich unterdrückte, gab er es auf und verließ schließlich angewidert den Saal. Der neue Lagerleiter, der zu 100% gewählt wurde, drückte dem ‚Sallschutz‘ seine Dankbarkeit aus“.

Erst 1944 fand der australische Militärgeheimdienst zahlreiche Nazi-Dokumente, darunter eine Namensliste des Schlägertrupps im Camp 1A.
So zogen die Lager-Nazis also Andersmeinende[29] Ebenda. (Fehler aus der Englischen Übersetzung wurden übernommen.) aus dem Verkehr. Dr. Haslinger behauptete später freilich, er habe jenen Bericht zurückgewiesen. Dieser enthalte „absolut nicht die Wahrheit“. Von ihm habe niemand „den Befehl erhalten, die freie Wahl zu stören“, argumentiert er an der Beschuldigung vorbei. Er identifizierte zugleich aber eine „inkompatible“ Person[30] Befragung Haslingers aao., Seite 102. als Dr. Becker[31] In der NAA-Akte Haslinger wird der Name des Arztes Johannes Becker im Zusammenhang mit einer Intrige und Denunziationen gegen H. bei der Kommandantur mehrfach erwähnt. Becker war seit 1927 in Australien, seit 1932 NSDAP-Mitglied und dort von 1933 bis 1936 „anerkannter Leiter der NSDAP“. Er wurde sofort nach Kriegsbeginn interniert und wurde 1947 nach Deutschland abgeschoben, wo er entnazifizert wurde. Seine Familie blieb in Australien; sein Sohn Heini vertrat die Liberale Partei von Robert Menzies von 1970 bis 1997 im Parlament von South Australia. Interniertenakte J. Becker, NAA_ItemNumber9903287 und Wikipedia über Heini Becker, abgerufen am 18.1.2025., mit dem er von Beginn seiner Internierung an Probleme gehabt habe.
Fazit:
Nicht nur der Tätigkeitsbericht des „Saalschutzes“ anlässlich des 5. November 1940 zeigt, dass die Nazis in „ihren“ Compounds schon frühzeitig eigene Strukturen durchgesetzt hatten. Die verantwortlichen australischen Militärs des 17. Garrison Battalion ignorierten, was vor ihren Augen geschah. Dass sie erst 1944 durch den Bericht ihres Geheimdienstes und die dort beigefügten Übersetzungen des regen internen Schriftverkehrs der Nazis von den Vorgängen erfahren haben wollen, erscheint wenig glaubwürdig.
Die Geheimdienstabteilung[32] Geheimdienstabteilung am 10.12.1940 an den kommandierenden Offizier des 17th. Grn Bn. In NAA_ItemNumber330926, Seite 126. Abgerufen am 8.3.2025. des 17. Garrison Battalion berichtete ihrem Kommandierenden Offizier schon am 20. Dezember 1940 u.a., die Bedeutung der Sicherheit sei nicht allen Angehörigen der Einheit klar. U.a. seien Besuchern von Internierten „Privilegien weit entfernt von den für Kriegsgefangene geltenden Anordnungen“ eingeräumt worden. Fast schon an eine Kumpanei des Lagerkommandanten des Camp 1 mit Haslinger grenzt dieser Regelverstoß: „Berichtet werden muss, dass der O.C. No. 1 Camp den Compound Leader Haslinger in seinem privaten Quartier mit einer Flasche Ale unterhielt, während ein Anruf erwartet wurde.“
Bei den Akten ist auch eine mehrseitige Zusammenfassung der Beschwerden über den Lagerkommandanten aus Sicht von Leutnant Young[33] Statements by Lieut. W.A. Young (Seite 93f) und H. CH. Patterson (S. 88f) vom 13.1.1941 mit der Beschwerde, Lagerkommandant Bristow hätte ständig ihre Aufgaben an sich gerissen. Stellungnahme des Bataillonsadjutanten Lieut. Robinson (S. 69f). In NAA_ItemNumber330926, Seite 88ff. Abgerufen am 8.3.2025.. Die Kritiker der Geheimdienstabteilung wurden von den höheren Diensträngen ignoriert. Deren Leutnants Young und Patterson baten am 21. Dezember 1940 um Entsendung eines Geheimdienstoffiziers mit höherem Rang und um ihre Versetzung, da ihre Position nicht mehr tragbar[34] Notiz der Geheimdienstabteilung des 17. Gr. Bn. vom 21.12.1940. In NAA_ItemNumber330926, Seite 122. Abgerufen am 8.3.2025. sei.
Am Beispiel der zeitgleich erhobenen unerfüllten Forderung der jüdischen Camp Leader nach Trennung von den Nazis in den Compounds und den Vorgängen vom September 1941 im Camp Tatura 3 wird deutlich, dass die zuständigen Militärs die jüdischen Internierten der Queen Mary-Gruppe nachteilig behandelten, während die Nazis viele Freiheiten hatten, die dem in der Lagerordnung niedergelegten Verbot politischer Betätigung widersprachen. Dass gegen die Nazi-Aktivitäten vorgegangen worden sei, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen.
Nachtrag: Der Fall Speck
Mit welcher Unverschämtheit sich die Nazis auch in anderen australischen Lagern verhielten, zeigt folgendes Beispiel: Nach dem Scheitern seiner Flucht aus dem Lager Tatura 1 im Januar 1943 wurde Oskar Speck[35] Oskar Speck (1907-1993) hatte nach einer 50.000 km-Reise im Kajak am 20.9:1939 australisches Gebiet erreicht und wurde sofort interniert. Nach einem Fluchtversuch aus dem Camp Tatura 1 wurde er nach Loveday verlegt. Er blieb nach dem Krieg in Australien. Vgl. Loveday Lives und Wikipedia, abgerufen am 20.2.2025. ins Camp 14D (Loveday, South Australia) verlegt. In einem Brief an den Schweizer Konsul[36] Die Schweiz hatte die Vertretung deutscher Interessen gegenüber den alliierten Kriegsgegnern übernommen. in Melbourne beschwerte er sich[37] Oskar Speck an Konsul Pietzcker am 2.3.1943, Collection Nancy Jean Steele Bequest im Australien National Maritime Museum, Sydney; abgerufen am 20.2.2025.:
„Wie Ihnen bekannt sein duerfte, ist dies kein Lager, in dem reichstreue deutsche Staatsangehoerige interniert werden sollten, da ihnen jegliche Moeglichkeit, ihren nationalen Gefuehlen Ausdruck zu verleihen, sei es durch nationale Veranstaltungen usw., genommen wird. Ich moechte Sie daher dringend bitten, bei der zustaendigen Behoerde um meine sofortige Versetzung in ein deutsches national-sozialistisches Lager vorstellig zu werden.“
Wie es scheint war den Internierten des Camp 1 also bekannt, dass sie dort „ihren nationalen Gefuehlen Ausdruck verleihen“ und an „nationalen Veranstaltungen“ teilnehmen konnten. Die Zensoren lasen alle ausgehenden Briefe, auch die an das Konsulat, und archivierten Abschriften, wenn erforderlich auch Übersetzungen ins Englische. Es kann also niemand behaupten, nichts gewusst zu haben.

Deutsche Kriegsgefangene des Lagers 13 Compound B (Murchison) durften am 11. März 1945 am Grab eines Kameraden den Hitlergruß zeigen.
Foto: R. L. Stewart, (Australian War Memorial Nr. 030248/04, public domain).
Hinweise: Die Schriftstücke der Nazis nennen nur selten die Compounds der Tatura Lager 1 und 3, die sie beherrschten
Im März 1944[38] Wochenbericht Nr. 58 vom 12.2.1944, Seite 8. Hier in NAA_ItemNumber329167 Seite 56. waren im Camp 3 594 „Palästina-Deutsche“ (Templer) und 333 „local Germans“ interniert.
Die meisten hier zitierten Dokumente wurden im australischen Nationalarchiv NAA in Abschriften bzw. englischen Übersetzungen deutschsprachiger Originale archiviert. Englische Dokumente wurden rückübersetzt. Fehler in den englischsprachigen Kopien (z.B. „Sallschutz“) wurden in die Rückübersetzung übernommen. Aus deutschen Originalen wurden Schreibweise (z.B. getrennte Umlaute) übernommen.
Fußnoten
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- [1]↑Regeln für Camp 9, Südaustralien. National Archives of Australia, NAA_ItemNumber81274 – Blatt 5, Ziffer 6.4.
- [2]↑Zit.n. „Ein Appell der Internierten“.
- [3]↑Dr. jur. Franz J. Haslinger (*8.8.1902) war seit April 1938 NDSAP-Mitglied und als Vertreter für Auto Union seit Ende 1938 in Australien tätig. NAA_ItemNumber428433 enthält u.a. Befragungsprotokolle von Haslinger und Frau (Seite 97ff) sowie Nazi-internen Briefwechsel.
- [4]↑Führungsbericht des Lagerkommandanten über Haslinger vom 6.12.1944. In NAA_ItemNumber428433 Seite 90.
- [5]↑Befragung Haslingers vom 27.2.1946. In NAA_ItemNumber428433, Seite 98.
- [6]↑Ebenda und The Herald Melbourne vom 27.2.1946, Seite 5, abgerufen am 10.3.2025.
- [7]↑Wikipedia über Robert Menzies (1894 - 1978) und Joey Watson, „A brief history of Nazism in Australia“, ABC online 16.1.2019, abgerufen am 10.6.2025
- [8]↑Wochenbericht des Militärgeheimdienstes Nr. 58 vom 12.2.1944 (Auszug), NAA_ItemNumber428433 aao. Seite 11.
- [9]↑Der Maschinenbauingenieur (*1897) war seit 1931 in Australien.
- [10]↑NSDAP-Kürzel für Ortsgruppenleiter und Parteigenosse.
- [11]↑Waldemar Weber, NSDAP-„Ortsgruppenleiter“ von Sydney, war mit einer Nazi-Vorstellung an den Vorfällen im Camp 3 am 28.9.1941 beteiligt und wurde daraufhin ins Camp 1 versetzt. Vgl. dunera.de über Schikanen gegen Juden im Camp 3.
- [12]↑Arthur Moritz Wolf an F.J. Haslinger im Camp 3 Tatura am 18.5.1943 (deutsche Fassung). In NAA_ItemNumber42843 aao., Seite 119.
- [13]↑Wochenbericht in NAA_ItemNumber428433 aao, , Seite 105
- [14]↑Eine Anspielung auf die von den Nazi erbaute Befestigungslinie an der Grenze zu Frankreich.
- [15]↑Wikipedia über den Hitlerputsch, abgerufen am 15.2.2025.
- [16]↑Notiz im Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 12.
- [17]↑Waldemar Weber war NSDAP-Chef von Sydney. Er war vom Lager 1 ins Lager 3 verlegt worden, um mit seiner Frau Irma Nora zusammen zu sein. Beide waren 1937 nach Australien gekommen. Vgl. Personalakten im NAA, NAA_ItemNumber9902329, NAA_ItemNumber8613358, NAA_ItemNumber8613829 und NAA_ItemNumber9902792; abgerufen am 20.12.2024.
- [18]↑E.O. Wildermuth an Haslinger am 5.9.1940, Anhang zum Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 13.
- [19]↑Gemeint ist der Hitlerputsch vom 8./9.11.1923.
- [20]↑David Henderson, „Bycatch of War: The German-Australien Internees 1939-1945“ (2006), abgerufen am 10.3.2025. Der Autor ignoriert die Rolle der Nazipartei im Lager; es hätte nur „einige glühende Nazis“ gegeben und andere, die sich „ein starkes Gefühl der Loyalität gegenüber dem Vaterland bewahrt“ hatten. Die Quelle der „Chronik“ wird nicht genannt.
- [21]↑Zit. n. Albrecht Dümling "Die verschwundenen Musiker", Weimar, Wien 2011, Seite 226.
- [22]↑Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seite 11.
- [23]↑Anhang F zum Wochenbericht aao. mit Namensliste, Seite 18f in NAA_ItemNumber428433.
- [24]↑Befragung Haslingers aao., Seite 101.
- [25]↑Diese Einheit wurde im Juli 1940 gebildet, um die Internierungslager im Raum Tatura zu bewachen. Sie wurde im Juli 1944 aufgelöst. Vgl. Kurzsteckbrief, Virtual War Memorial Australia, abgerufen am 16.1.2025.
- [26]↑Angesichts der Nachricht, 47 alliierte Piloten seien in Deutschland bei einem Fluchtversuch erschossen worden äußerte kaiser: „Ich wünschte, es wären 47.000 gewesen.“ In: Auszug aus dem Geheimdienstbericht Nr. 16 im Lager Loveday vom 28.7.1944. In NAA_ItemNumber322839, Seite 12. Abgerufen am 8.3.2025.
- [27]↑Pflichtenliste des Ordnungsdienstes im „deutschen Internierungslager IA“ vom 15.10.1940. Anhang zum Wochenbericht Nr. 58 in NAA_ItemNumber329167, Seite 62, abgerufen am 10.3.2025.
- [28]↑„History and Report of the Camp Orderly Service“ vom 5.11. 1940 als Anhang zum Wochenbericht aao., in NAA_ItemNumber428433 aao., Seiten 14f.
- [29]↑Ebenda. (Fehler aus der Englischen Übersetzung wurden übernommen.)
- [30]↑Befragung Haslingers aao., Seite 102.
- [31]↑In der NAA-Akte Haslinger wird der Name des Arztes Johannes Becker im Zusammenhang mit einer Intrige und Denunziationen gegen H. bei der Kommandantur mehrfach erwähnt. Becker war seit 1927 in Australien, seit 1932 NSDAP-Mitglied und dort von 1933 bis 1936 „anerkannter Leiter der NSDAP“. Er wurde sofort nach Kriegsbeginn interniert und wurde 1947 nach Deutschland abgeschoben, wo er entnazifizert wurde. Seine Familie blieb in Australien; sein Sohn Heini vertrat die Liberale Partei von Robert Menzies von 1970 bis 1997 im Parlament von South Australia. Interniertenakte J. Becker, NAA_ItemNumber9903287 und Wikipedia über Heini Becker, abgerufen am 18.1.2025.
- [32]↑Geheimdienstabteilung am 10.12.1940 an den kommandierenden Offizier des 17th. Grn Bn. In NAA_ItemNumber330926, Seite 126. Abgerufen am 8.3.2025.
- [33]↑Statements by Lieut. W.A. Young (Seite 93f) und H. CH. Patterson (S. 88f) vom 13.1.1941 mit der Beschwerde, Lagerkommandant Bristow hätte ständig ihre Aufgaben an sich gerissen. Stellungnahme des Bataillonsadjutanten Lieut. Robinson (S. 69f). In NAA_ItemNumber330926, Seite 88ff. Abgerufen am 8.3.2025.
- [34]↑Notiz der Geheimdienstabteilung des 17. Gr. Bn. vom 21.12.1940. In NAA_ItemNumber330926, Seite 122. Abgerufen am 8.3.2025.
- [35]↑Oskar Speck (1907-1993) hatte nach einer 50.000 km-Reise im Kajak am 20.9:1939 australisches Gebiet erreicht und wurde sofort interniert. Nach einem Fluchtversuch aus dem Camp Tatura 1 wurde er nach Loveday verlegt. Er blieb nach dem Krieg in Australien. Vgl. Loveday Lives und Wikipedia, abgerufen am 20.2.2025.
- [36]↑Die Schweiz hatte die Vertretung deutscher Interessen gegenüber den alliierten Kriegsgegnern übernommen.
- [37]↑Oskar Speck an Konsul Pietzcker am 2.3.1943, Collection Nancy Jean Steele Bequest im Australien National Maritime Museum, Sydney; abgerufen am 20.2.2025.
- [38]↑Wochenbericht Nr. 58 vom 12.2.1944, Seite 8. Hier in NAA_ItemNumber329167 Seite 56.