Dunera

Der Judenstempel

Die Schweiz kann beruhigt schlafen. Dort wurde der rote „J“-Stempel“ in Pässen deutscher und österreichischer Juden nicht erfunden. Die Schweden waren es auch nicht. Dennoch haben beide Staaten, die während des 2. Weltkrieges stets „Neutralität“ behaupteten, antisemitischen und fremdenfeindlichen Dreck am Stecken. War auch der rote Stempel nicht auf dem dortigen rassistischen Mist gewachsen, so wurzelt dieser doch in einer Vereinbarung der Schweiz mit den Nazis von 1938, wonach die Pässe deutscher und österreichischer Juden besonders zu kennzeichnen seien. Die Schweiz und anderen Staaten konnten diese Flüchtlinge an der Grenze auf den ersten Blick erkennen und sie abweisen. So wurde die Bedrohung schweizerischer und schwedischer „Reinheit“ in eine Lebensbedrohung der Juden durch die Nazis umgewandelt. Schweden zog nicht nur beim Judenstempel mit den Nazis mit.

Peter Dehn im Januar 2025

Der Judenstempel – keine „neutrale“ Geschichte

„Das Boot ist voll“ wurde – erst recht wegen der Flüchtlingswellen nach dem „Anschluss“ Österreichs und den Novemberpogromen – zur offiziellen Asyldoktrin der Eidgenossen[1] Dieser Titel des Sachbuchs von Alfred A. Häsler (1967) und der von Markus Imhoof geschriebene und inszenierte gleichnamige Kinofilm (Silberner Bär und weitere Preise der Berlinale 1981) wurde zum Synonym für die Verweigerung der Hilfe für Asylbewerber, abgerufen am 13.11.2024.. Zwar wurde die Einreise politischer Flüchtlinge ausdrücklich toleriert. Genauso ausdrücklich hieß es einer Anweisung der Regierung[2] Vgl. Helmut Hubacher, Einreichung beim Nationalrat zum „J-Stempel“ vom 1.2.1995 in Bulletin des Schweizer Nationalrats Nr. 95.3039. an die Kantone jedoch, „Juden seien nicht als politische Flüchtlinge anzusehen“. Die Politik, Juden nur in Ausnahmefällen aufzunehmen, überantwortete viele Verfolgte der antisemitischen Politik den Nazis und ihrer „Endlösung der Judenfrage“.

Vorgeschichte und politischer Rahmen

Im Juli 1938 war auf der Konferenz von Evian[3] Wikipedia über die Konferenz von Evian, abgerufen am 10.11.2024. eine internationale Einigung zum Umgang mit Flüchtlingen gescheitert. 31 der 32 Teilnehmerstaaten hatten sich geweigert, mehr oder überhaupt Verfolgte aus Deutschland und Österreich aufzunehmen. Durch dieses Versagen wurden zahllose Juden Opfer des Holocaust.

Die Schweiz hatte bis dahin 10.000 bis 12.000 Flüchtlinge aufgenommen[4] Einer von ihnen war der Auto-Entwickler Josef Ganz, der 1951 ausgewiesen wurde., zitiert die Zeitschrift „Der Schweizerische Beobachter[5] „Der schweizerische Beobachter“, gegründet 1927, setzt sich für Recht und Gerechtigkeit ein. Das Blatt griff 1954 die Asylpolitik des Landes während der Nazizeit kritisch auf.“ offizielle Unterlagen. „Viele in unserem Land befürchteten eine Überfremdung[6] Urs Rauber bewertet in „Judenstempel: Korrektur einer Halbwahrheit“, erschienen am 19.3.2001 im „Beobachter“, den Bericht von 1954 neu, vor allem betreffend die Verantwortung des früheren Chefs der Fremdenpolizei Rothmund und die „Erfindung“ des roten „J“-Stempels betreffend, abgerufen am 10.11.2024. und Belastung des Arbeitsmarkts“, benennt deren Autor Urs Rauber die Argumentation der damaligen Regierung, mit der man unerwünschte Menschen fernhalten wollte. Das betraf nicht nur deutsche Juden. Auch vor österreichischen Juden wurde die Tür zugeschlagen, als sie nach dem „Anschluss“ ihrer Heimat am 12. und 13. März 1938 ihre Leben in oder über die Schweiz vor der antisemitischen Verfolgung retten wollten.

Felix Nussbaum: „Selbstporträt mit dem jüdischen Reisepass“, um 1940.
Quelle: Wikipedia.

Eine Interpretation[7] Claire Deuticke über das Gemälde, online auf The Art Inspector, abgerufen am 25.11.2024. des Bildes: „In seiner linken Hand hält er seinen Judenpass, auf dem deutlich sichtbar, in dicken roten Buchstaben, das Wort Juif – Jood (Jude) prangt. Es handelt sich um den Gestus des sich Ausweisens, einer Situation, der Juden unter dem nationalsozialistischen Regime täglich ausgeliefert waren, eine Situation, die über Leben und Tod entscheiden konnte. Felix Nussbaum fixiert den Betrachter mit einem eindringlichen, beinahe provozierenden, Blick. Der Betrachter nimmt automatisch die Rolle des Gegenübers, des Kontrollierenden ein und wird so ein Teil der dargestellten Situation. Er wird bewusst in die Machtposition eines Denunzianten versetzt, der die Verantwortung über Leben und Tod besitzt und vor eine Entscheidung gestellt wird. So entzieht sich Felix Nussbaum bewusst der Opferrolle: Es ist nicht er, der in die Enge getrieben und angeklagt wird, sondern der Betrachter, der in seiner Rolle als Kontrolleur mitverantwortlich für das Leid der Juden ist.“

Die Schweiz als „entgegenkommender“ Verhandler

Um sich vor der zu erwartenden Flüchtlingswelle zu schützen, kündigte die Schweiz den Visazwang für alle Deutschen und Österreicher an. Ausnahmen sollten nur für Menschen mit Vermögen oder Angehörigen in der Schweiz gelten und für Transit-Reisende. Damit setzte man sich in einen Gegensatz zum mächtigen Nachbarn. Nazideutschland wollte „seine“ Juden loswerden, egal wohin, egal wie. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit der eigenen „arischen“ Mehrheit konnten die Nazis nicht hinnehmen. Im Laufe von Verhandlungen erklärten die Schweizer, den Visazwang „auf die nichtarischen deutschen Staatsangehörigen“ beschränken zu wollen. Dieses „Entgegenkommen[8] „Beobachter“ aao.“ wurde zum Ausgangspunkt der späteren Vereinbarung.

Der deutsche Verhandlungsführer fragte unterdessen zurück, ob die Schweiz auf Visa verzichten würde, wenn Deutschland die jüdischen Passinhaber ausdrücklich als solche bezeichnete. Das befand der Chef der Schweizer Fremdenpolizei Heinrich Rothmund[9] Wikipedia über Heinrich Rothmund, abgerufen am 15.10.2024. zwar für „technisch möglich“, aber politisch fragwürdig und votierte weiter für die allgemeine Visapflicht. Am 7. September 1938 schlug der Nazivertreter einen Stempel im Pass vor. Im Sinne der Gegenseitigkeit müssten aber auch Pässe der Schweizer Juden markiert werden. Das sei doch „sehr weit entgegenkommend“ und „annehmbar“ berichtete der Schweizer Delegationsleiter seiner Regierung.

Laut dem Vertrag gestattete die Schweiz deutschen Juden die Einreise[10] Vgl. Quellensammlung VEJ 2/127 und Bundesarchiv und Caspar Battegay, Naomi Lubrich „Jüdische Schweiz: 50 Objekte erzählen Geschichte“, Seiten 158-161. Hrsg.: Jüdisches Museum der Schweiz, Basel 2018, ISBN 978-3-85616-847-6. Zit.n. Wikipedia über den Judenstempel, abgerufen am 13.11.2024. nur, „wenn die zuständige schweizerische Vertretung in den Pass eine ‚Zusicherung der Bewilligung zum Aufenthalt in der Schweiz oder zur Durchreise durch die Schweiz‘ eingetragen hat.“ Beide Schweizer Parlamentskammern[11] Marco Jorio „Judenstempel“. Veröffentlicht am 10.3.2015 online in Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), abgerufen am 5.8.2024. stimmten – gegen die Bedenken Rothmunds – der Vereinbarung zu, die zur Grundlage für die roten „J“-Stempel wurde. Das geschah am 3. und 4. Oktober 1938, also nur ein paar Tage, nachdem auch Juden und Nazigegner aus der durch das Münchner Abkommen zerschlagenen Tschechoslowakei zu Flüchtlingen gemacht wurden.

„Es wird vielleicht nicht mehr allzu lange dauern, bis man ihnen diese Kennzeichnung auf den Leib brennt. Bereits ist die Rede, die Opfer des nazistischen Rassenirrsinn zum mindesten durch einen gelben Fleck im Gesicht zu zeichnen und so der Missachtung preiszugeben.“

Der Schweizer Sozialdemokrat Guido Müller[12] GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Glossar J-Stempel, abgerufen am 13.11.2024. ahnte also die später eingeführten Judensterne voraus und warnte vor dem Abstempelungs-Vertrag. Seine öffentliche Äußerung im Schweizer Parlament vom 7. Dezember 1938 weist zugleich nach, dass die Behauptung keine Grundlage hat, das Stempel-Abkommen sei im Geheimen ausgehandelt worden.

Mit dem Segen der Schweiz führten die Nazis den Judenstempel ein Personaldokumenten ein. Hier v.l.n.r. die Reisepässe von Dunera-Boy Ladislaus Wieselmann aus Wien, und den Queen Mary-Internierten Karl Duldig (Wien), Helmut Neustädter (Berlin) und Heinrich Portnoj (Wien). Stempel gab es auch für Kinderausweise. Quelle: Akten des australischen Nationalarchivs NAA

Die mit dem Nazi-Reich vereinbarte Kennzeichnung auch der Pässe von Schweizer Juden, deren Diskriminierung die eigene Regierung bewusst in Kauf nahm, wurde nicht umgesetzt. Konsequent umgesetzt wurde aber die andere Richtung. So hatte der Berliner Pastor Helmut Gollwitzer[13] Wikipedia über Pastor Helmut Gollwitzer, abgerufen am 15.11.2024. (1908 – 1993), Mitglied der Bekennenden Kirche[14] Wikipedia über die Bekennende Kirche, abgerufen am 10.10.2024., den Schweizer Diplomaten Hamel um Hilfe für die Einreise einer gefährdeten Familie angeschrieben. Der antwortete, die Schweiz habe „infolge grosser Ueberfremdung ganz allgemein rigoros ihre Grenzen geschlossen“. Das habe natürlich nichts mit der Abstammung der von Gollwitzer unterstützten jüdischen Familie zu tun. Es schließe aber ein, „dass keinerlei Ausnahmen gemacht werden können, weil es eben ein Gesetz ist“. Hamel empfahl[15] C.C. Hamel an Gollwitzer am 26.11.1938, via Friedenszentrum des Martin Niemöller-Hauses, abgerufen am 15.11.2024., sich um die Einreise in ein anderes Land zu bemühen.

„Weil es eben ein Gesetz ist“ hatte die Schweiz allein zwischen 1941 und 1945 mindestens 30.000 deutschösterreichische Juden[16] Vgl. M.M. Mäder "Die Juden in der Schweiz" vom 9.9.1997 unter Jüdisches Leben online, abgerufen am 12.12.2024. an der Grenze abgewiesen!

Eine Schweizer Debatte

In der Schweiz scheint der „J“-Stempel kein historischer Unfall gewesen zu sein. Kennzeichnungen für Juden fanden sich schon 1916 auf Formularen für Aufenthaltsgenehmigungen und Einbürgerungsanträge.

Die vom „Beobachter“ 1954 angestoßene kritische Debatte zum Vorgang „J“-Stempel führte damals aufgrund unzureichender Recherchen zu falschen Ergebnissen und zu einer ungerechtfertigten öffentlichen Verurteilung Rothmunds als angeblichen Erfinder des Stempels. Das wurde Jahrzehnte später durch den „Beobachter“ selbst öffentlich korrigiert. Ausgangspunkt war der Bericht „Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955“ von Prof. Dr. Carl Ludwig[17] Der komplette Bericht „Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955“ in der Datenbank Dodis für Diplomatische Dokumente der Schweiz, abgerufen am 10.10.2024. im Auftrag des Bundesrates. Dort wurde 1957 „aktenkundig nachgewiesen, dass der berüchtigte J-Stempel im Pass von deutschen und österreichischen Juden aufgrund einer Kooperation zwischen deutschen und schweizerischen Behörden eingeführt worden war“, benannte der Sozialdemokrat Helmut Hubacher[18] Helmut Hubacher aao. am 1. Februar 1995 vor dem Schweizer Nationalrat die Mitverantwortung seines Landes.

Hubacher hatte die Regierung u.a. aufgefordert, sich wegen der Weisung an die Kantone[19] Ebenda. zu entschuldigen, „Juden seien nicht als politische Flüchtlinge anzusehen“. „Mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden“ müsse auch die Behauptung, man hätte nichts vom Schicksal der an der Grenze Abgewiesenen gewusst, schrieb er weiter.

„Dennoch wurde die eigene Mitverantwortung über Jahrzehnte hinweg bestritten. Erst durch die erzwungene Auseinandersetzung mit sogenannten nachrichtenlosen Bankkonten[20] Schweizer Banken kümmerten sich erst unter internationalem Zwang um die Klärung von bis zu 55.000 Konten von Holocaust-Opfern und von Juden erpresste Vermögenswerte samt der Erben-Ermittlung, abgerufen am 10.8.2024. von Holocaust-Opfern wurde eine nachhaltige Diskussion über die eigene Rolle im Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzt, die jedoch nicht ohne Gegenwehr verlief. Noch 2007 wurde die Mär einer ‚Geschichtsfälschung‘[21] GRA aao. in Bezug auf den ‘J‘-Stempel verbreitet.“

Unterdessen war Hubachers parlamentarischer Vorstoß erfolgreich: „Im Wissen darum, dass solches Versagen letztlich unentschuldbar ist“ entschuldigte sich Bundespräsident Kaspar Villiger am 7. Mai 1995 – am 50. Jahrestag des Endes von Krieg und Nazireich. Er erwähnte auch die Beteiligung der Schweiz am Judenstempel mit dem Ziel, die Einreise jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich zu verhindern. Damit endete nach über vier Jahrzehnten die 1954 vom „Beobachter“ begonnene Debatte[22] Georg Kreis „Eine unglaubliche Affäre – Die Schweiz und der Judenstempel“, Neue Zürcher Zeitung am 2.5.2023, abgerufen am 10.8.2024..

„Die Schweiz war nicht die Erfinderin des Judenstempels. Doch sie bahnte – wie andere Staaten auch – mit ihrer hartherzigen Flüchtlingspolitik den Weg dazu“, fasste Urs Rauber 2001 im „Beobachter“ den nunmehr gründlich revidierten Wissensstand[23] Beobachter aao. zusammen.

Vom Judenstempel …

Die Nazis hatten ihre antisemitische Gesetzgebung sofort begonnen, nachdem ihnen die Macht am 30. Januar 1933 übergeben wurde. Schon am 28. Februar 1933 wurden die Grundrechte[24] Wikipedia über die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28.2.1933, abgerufen am 30.5.2023. außer Kraft gesetzt. Die Naziregierung setzte den Kennzeichnungs-Vertrag sofort um: Am 5. Oktober 1938 also schon am Tag nach dem Schweizer Beschluss – führt die „Verordnung über Reisepässe von Juden[25] Wikipedia über die „Verordnung über Reisepässe von Juden“, abgerufen am 5.9.2024.“ den roten „J“-Stempel ein. So wurden diese Menschen bei der Ausreise in ein visafreies Land gebrandmarkt. Auch Kennkarten und Kinderausweise wurden so gekennzeichnet.

Eine wesentliche Unrechtsgrundlage war die Erste Verordnung zu dem im November 1935 veröffentlichten „Reichsbürgergesetz[26] Vgl. Wikipedia über das Reichsbürgergesetz, abgerufen am 20.10.2024.“. §4 legt im Satz 1 fest: „Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein“; im Weiteren wurde die Entlassung jüdischer Beamter vorgeschrieben. Die Zweite Verordnung[27] Wikipedia über die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“, abgerufen am 10.8.2024. zur Umsetzung dieses Gesetzes vom 17. August 1938 zwang im §2 Juden, die Vornamen Israel oder Sara in ihre Papiere eintragen zu lassen. Dann folgte die Pass-Verordnung.

Am 28. Oktober 1938 wurden 17.000 polnische Juden verhaftet, an die polnische Grenze gekarrt und mit aufgepflanzten Bajonetten gezwungen, bei schlechtem Wetter im Niemandsland bis zu einer polnischen Entscheidung über ihre Aufnahme auszuharren. Nach dem Pogrom vom 9. November 1938 wurden 30.000 „insbesondere wohlhabende“ jüdische Männer verhaftet und bis zu zwei Monate in KZs gesperrt. Die Freilassung wurde mit der Forderung nach sofortiger Ausreise dieser Männer und ihrer Familien gekoppelt. Sie durften nur wenig Kleidung und 10 Reichsmark pro Person mitnehmen; die Vermögen der Familien kassierte der Staat für seine Kriegskasse ein.

Die äußerliche Brandmarkung aller Juden ab dem 6. Lebensjahr durch den gelben Stern[28] Wortlaut der Polizeiverordnung, abgerufen am 25.11.2024. hatten die Nazis auf Forderung von Goebbels durch eine Verordnung vom 1. September 1941 eingeführt. Verstöße gegen die Tragepflicht wurden mit 150 Reichsmark oder Haft bis zu sechs Wochen bedroht. Zugleich wurde Juden verboten, ihre Gemeinde ohne schriftliche Genehmigung der Polizei zu verlassen.

zur Wannseekonferenz

Am 25. November 1941 folgte die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz: Juden wurden ausgebürgert. Im Ausland lebende Juden verloren nicht nur ihre Staatsbürgerschaft[29] „Vor 75 Jahren: Ausreiseverbot für Juden“, Bundeszentrale für politische Bildung online am 19.10.2016, abgerufen am 10.8.2024.. Die Vermögen der in Deutschland Verbliebenen kam auf die Wunschliste des Nazistaats. Kurz vorher verhängte die Nazi-Regierung ein Ausreiseverbot gegen Juden. Damit hatte die Kennzeichnung ihrer Reisepässe an Bedeutung verloren.

Am 20. Januar 1942 legten Innenminister Stuckart, Blutrichter Freisler und andere Nazigrößen auf der sog. Wannseekonferenz[30] Wikipedia über die Wannseekonferenz, abgerufen am 15.8.2024. die Marschrichtung zur „Endlösung der Judenfrage“ fest. Eine dort vorgelegte Liste zielte auf die Ermordung von 11 Mio. europäischen Juden. Das betraf auch nicht besetzte Länder: U.a. wurde für die Schweiz die Vernichtung von 18.000, für Schweden 8.000, für England 330.000 und für das Gebiet des französischen Hitler-Vasallen Petain 700.000 jüdischen Leben festgelegt.

Hans Globke[31] Wikipedia über Hans Globke, abgerufen am 20.10.2024. hatte sich als Mitautor und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und Autor der o.g. Namens-Verordnung als Fachmann qualifiziert und saß für das Innenministerium am Tisch der Wannsee-Konferenz. In der Bundesrepublik beeinflusste dieser Mittäter der „Endlösung“ von 1953 bis 1963 als graue Eminenz hinter dem Bundeskanzler Adenauer und der CDU-Spitze die bundesdeutsche Politik. Um seine Ernennung zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt durchzusetzen belog Adenauer den Bundestag mit der Behauptung, Globkes Vergangenheit sei „durchgeprüft“ worden. Globke wurde am 15. Oktober 1963 mit dem Großkreuz des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Man muss halt nur an den richtigen Tischen sitzen …

Rassismus per Gesetz: Das „Reichsbürgergesetz“ (oben) und die Verordnung über jüdische Namen.

11 Millionen Europäer standen auf der Mordliste der Wannseekonferenz.

Schweden fürchtet Juden mehr als Hitler

Dass Schweden beim Judenstempel mitzog wundert nicht. Zwar behauptete auch das skandinavische Land noch sehr lange nach Kriegsende seine „Neutralität“. Dennoch waren dort Nazi-Sympathien und Antisemitismus bis in die Regierung hinein verbreitet. Das führte nicht nur zu gesetzlichem Unrecht. Heutige Rechtspopulisten wollen  ihre ideologischen Vorväter von der Verantwortung freisprechen, in dem sie entgegen den Tatsachen behaupten, die Sozialdemokraten seien Schuld an alldem.

„Der schwedische Rassismus (wies) erschreckende Parallelen[32] Reinhard Wolff „Hässliches Mobiliar im schönen Volksheim“ in Die Tageszeitung (TAZ) am 5.2.2000, abgerufen am 1.8.2024. zum Nationalsozialismus auf“, stellte der Journalist Reinhard Wolff fest. Schon 1927 wurden jüdische Einwanderungs-Aspiranten als „Wirtschaftsflüchtlinge“ deklassiert und abgewiesen. Etwa gleichzeitig übernahmen rechtsextreme Organisationen Grundsätze des US-Einwanderungsrechts, die von der dort entwickelten „Rassenbiologie“ maßgeblich beeinflusst waren. Schwedens Justizminister war damals Johan Thyrén[33] Wikipedia (schwedisch) über Johan Thyrén, abgerufen am 25.11.2024. (1861 – 1933), ein Mitbegründer der „Schwedischen Gesellschaft für Rassenhygiene“. Thyrén assistierte ultrarechten Zeitungen, die „Ostjuden“ und Roma als unerwünscht bezeichneten, mit dem Satz: „Der Wert einer Bevölkerung mit einer seltenen einheitlichen, unvermischten Ethnie kann kaum überschätzt werden“. Die Sozialdemokraten Schwedens quittierten diesen überdeutlichen Rassismus im Parlament mit der Bemerkung, das Gesetz sei „von fanatischer Fremdenfeindlichkeit[34] Zit.n. Ola Larsmo „Aus der Geschichte mit dem J-Pass lassen sich keine politischen Schlüsse ziehen“ in Dagens Nyheter (schwedisch) am 19.6.2023,. Via wayback, abgerufen am 25.11.2024. geprägt“. Der Sozialdemokrat Arthur Engberg[35] Wikipedia über Arthur Engberg (schwedisch), einen sozialdemokratischen Politiker Schwedens, der sich Mitte der 1920er Jahre vom Antisemitismus entschieden abgewendet hatte. fragte dort, ob Recht und Gesetz Schwedens künftig auf einer „Feindschaft, die dem Blut zwischen den Rassen innewohne“ beruhen sollten.

1936 forderte der rechtsgerichtete Allgemeine Wahlverein nach Nazi-Vorbild eine „schärfere Kontrolle des Zuzugs von Ausländern ins Reich“. Das wurde bis 1939 wiederholt – zuletzt anhand der Chronik deutlich zu verstehen als Reaktion auf die Flucht- und Vertreibungswelle infolge der Nazi-Pogrome vom November 1938. Wieder waren es die Sozialdemokraten, die – wenn auch vergeblich – mit einem Antrag dagegenhielten: Man solle allen den Flüchtlingsstatus[36] Vgl. Larsmo aao. gewähren, die in ihrem Heimatland aus „politischen Gründen“ verfolgt werden; das sollte auch jüdische Flüchtlinge einschließen.

Die Einverleibung eines Rassistenelements

1939 demonstrierten Studenten gegen ein Asyl für zehn jüdische Ärzte. Derart „orientalische“ Elemente ins Land zu lassen, könne das schwedische Volk schädigen. Auch müsse man die „Einverleibung des jüdischen Rasseelements in den schwedischen Volksstamm“ verhindern, zitiert Wolff.

Starke Schweden-Töne kamen auf der Evian-Konferenz[37] Auf Einladung der USA hatten 32 Staaten in dem französischen Ort vom 6. bis 14. Juli 1938 ergebnislos über die Aufnahme von Juden verhandelt. Vgl. Wikipedia über die Konferenz vom Evian, abgerufen am 20.11.2024.: Nicht etwa die lebensbedrohende Nazi-Verfolgung oder die Flüchtlingsströme seien das Problem. Das Problem sei „die europäische-jüdische Emigration als Gesamtheit“, erklärte der Vertreter Schwedens. Die Schweden-Nazis assistierten mit dem Verlangen, die „Judeninvasion zu stoppen“ und forderten „Schweden den Schweden[38] Zit.n. Wolff aao.“.

Golda Meir[39] Wikipedia über die spätere Regierungschefin Israels, abgerufen am 17.9.2024. (1898 – 1978), die als Beobachterin in Evian dabei war, stellte später die entscheidende Frage[40] Golda Meir „My Life“. New York 1975, Seite 158. Zit nach Wikipedia über die Evian-Konferenz aao.: „Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten ‚Zahlen‘ menschliche Wesen sind, Menschen, die den Rest ihres Lebens in Konzentrationslagern oder auf der Flucht rund um den Erdball verbringen müssen wie Aussätzige, wenn ihr sie nicht aufnehmt?“

Die Regierungen Englands und anderer Länder, die zur Ergebnislosigkeit der Evian-Konferenz beigetragen hatten, revidierten später ihre Asylpolitik. Dies geschah jedoch z.B. in England erst, nachdem die Öffentlichkeit, entsetzt vom Pogrom[41] Die britische Asylpolitik endet mit der Inhaftierung Zehntausender Flüchtlinge und der Abschiebung von rund 10.000 Zivilinternierten nach Übersee. im November 1938, die Aufnahme von Juden und politisch Verfolgten verlangte.

Nicht nur angesichts der Schlangen deutscher Juden vor Schwedens Prager Botschaft nach der „Reichskristallnacht“ konnte man Meirs Frage (Siehe Bild rechts) keinesfalls mit „nein“ beantworten. Dessen ungeachtet blieb Schweden bei der rassistischen Linie: So berichtete Botschafter Folke Malmar[42] Zit.n. Wolff aao. nach Stockholm, man müsse „solche Immigranten, die, was zweitausendjährige Erfahrung lehrt, sich nie assimilieren“, fernhalten.

Schweden verschärfte[43] Vgl. Larsmo aao. seine Gesetze, um Flüchtlinge fernzuhalten und führte am 27. Oktober 1938 eine Visumpflicht[44] Vgl. "Förföljelsen av judar under 1930-talet" (Schwedisch) online bei Forum för levande historia (Forum für lebendige Geschichte), abgerufen am 21.12.2024. für deusche Staatsbürger mit dem „J“-Stempel im Pass ein. Anfang 1939 umfasste die „fremde Invasion“ laut einer Zählung der schwedischen Regierung 3.420 jüdische Flüchtlinge.

Nach dem rassistischen Prinzip der White Australia Policy[45] Ein kurzer Hintergrund über die „White Australia Policy“ veröffentlich das Nationalmuseum Australiens. handelnd, verhielt sich der Vertreter Australiens in Evian. Ministerpräsident Joseph A. Lyons hatte ein Jahr zuvor getönt „Unsere Bevölkerung ist zu 99,1 % britischer Nationalität[46] Zitat aus einer Wahlkampfrede von Joseph Lyons am 28. September 1937. und das soll auch so bleiben“. Sein Handelsminister Thomas White[47] John Rickard „Australian Dictionary of Biography“ über Thomas White, zit.n. Joseph Toltz „Loss, trials and compassion: music of Australia's Jewish refugees“, University of Sydney online, abgerufen am 10.12.2024. (nomen est omen?) teilte in Evian mit: „Weil wir kein wirkliches Rassenproblem haben, sind wir nicht darauf aus, ein solches durch die Förderung einer groß angelegten Einwanderung aus dem Ausland zu importieren“.

Vergoldete „Neutralität“

Während Nazideutschland Ende Oktober 1938 17.000 polnische Juden demonstrativ nach Polen abschob, hatten sich Schweden und die Nazis längst gegenseitig angebiedert. Schweden lieferte Eisenerz, Kugellager und andere militärisch wichtige Güter an die vom Welthandel isolierte Kriegsindustrie des Nazireiches. Waffen und bis zu 2 Millionen Soldaten wurden mit der Bahn durch Schweden transportiert, zynisch getarnt als Rotkreuz-Transporte. U.a. wurde im Juni/Juli 1941 die komplette 163. Infanterie Division[48] Vgl. Wikipedia „Sweden during World War II“, abgerufen am 25.11.2024. der Nazi-Wehrmacht samt schweren Waffen von Norwegen durch Schweden ins finnische Aufmarschgebiet gegen die Sowjetunion geschleust. Der Naziluftwaffe wurden Überflugrechte gewährt, recherchierte Wolff.

„Neutralität“ war in Schweden eben nicht – wie international üblich – ein Synonym für unparteiische Distanz zu den Kriegsparteien. Das Schlagwort wurde vorgeschoben, um ein heimliches Bündnis mit den faschistischen Aggressoren um des Profits Willen zu verdecken. Denn Nazideutschland zahlte mit Gold und Gold stinkt bekanntlich nicht. Der Öffentlichkeit wurde erklärt, man könne die Nazis nur durch Neutralität aus dem Lande fernhalten. Dabei wurde unter den Parlamentsteppich gekehrt, was neutralen Staaten wie Belgien[49] Vgl. Wikipedia über die Schlacht um Belgien, abgerufen am 25.11.2024. und den Niederlanden[50] Wikipedia über die Geschichte der Niederlande, abgerufen am 25.11.2024. 1940 widerfahren war. Die schwedische Version einer „vergoldeten Neutralität“ veranlasste Hitlers Propagandachef Goebbels[51] Joseph Goebbels, Tagebucheintrag 1942, zit.n. Süddeutsche Zeitung vom 11.5.2010, abgerufen am 1.8.2024. zu höchstem Lob: „Schweden hat mehr für die deutsche Kriegsführung getan, als man gewöhnlich annimmt“, notierte er in sein Tagebuch. „Sie betonen ihre Neutralität aber auf eine Weise, die zu unserem Vorteil ist.“

Persönlichkeiten wie Raoul Wallenberg[52] Wikipedia über Raoul Wallenberg, abgerufen am 5.7.2024. (1912-1952) und Graf Folke Bernadotte[53] Wikipedia über Graf Bernadotte, abgerufen am 5.7.2024. (1895-1948) mögen zur Ehrenrettung Schwedens beitragen. Die offizielle Politik schwenkte aber erst Ende 1942 um. Das geschah, als die Deportation von 772 norwegischen Juden[54] „Die Deportation der Juden“, norwegisches Holocaust-Dokumentationszentrum HOL-Senteret, abgerugfen am 26.11.2024. unter Mitwirkung der dortigen Polizei[55] Der Wikipedia-Beitrag über die Geschichte der Juden in Norwegen verweist u.a. darauf, dass der verantwortliche Polizeichef von Oslo Knut Rød Später vom Vorwurf der Kollaboration freigesprochen wurde und bis 1965 im Polizeidienst blieb. Abgerufen am 25.11.2024. am 26. November 1942 nach Auschwitz bekannt wurde. Zeitgleich zeichnete sich bei Stalingrad die Wende im Kriegsverlauf ab. 1943 beteiligte man sich an der Rettung dänischer Juden. Der Ruhm dieser guten Tat verblasst jedoch: „Ostjuden“ aus den baltischen Staaten[56] Vgl. Wolff aao. wurden der „Endlösung“ überlassen.

Aufarbeitung auf schwedisch

Eher weniger überraschend ist die Leugnung der Mitverantwortung für die Judenvernichtung im heutigen Schweden. So behauptet die Partei Sverigedemokraterna[57] Wikipedia über die SD-Partei, abgerufen am 20.8.2024. (Schwedendemokraten, SD) eine enge Beziehung der Sozialdemokratie zu den Nazis. „Es waren die Sozialdemokraten, die forderten, dass Hitlerdeutschland ein ‚J‘ in jüdische Pässe stempelt, um Juden an der Grenze deportieren zu können“, wird aus dem Facebook-Auftritt[58] Zit.n. Ola Larsmo aao. der Schwesterpartei der deutschen AfD zitiert. Diese faustdicke Propagandalüge täuscht nicht darüber hinweg, dass nicht nur Schwedens Rechtspopulisten damals den Antisemitismus und heute eine pauschale Ausländerfeindlichkeit, Ängste vor einer angeblichen Islamisierung usw. schüren und passende Verschwörungsnarrative usw. propagieren.

Die Propaganda darf nicht siegen

Aus schwedischer Sicht entwickelt der Publizist Ola Larsmo[59] Vgl. Ola Larsmo aao. das mit der damaligen wie heutigen Situation in anderen (auch größeren) Ländern durchaus vergleichbare Bild von Schweden als das „eines kleinen Landes, das von gegensätzlichen politischen Positionen gelähmt ist und sich der gleichen schrecklichen Flüchtlingspolitik unterwirft wie der Rest der Welt. (…) Dieses Bild der Zerrissenheit und Verzweiflung ist zugegebenermaßen schwer zu ertragen. (…) Es bleibt noch hinzuzufügen: Das Krankhafte, das Geschichtspropaganda und Geschichtsklitterung bewirken, ist der Eindruck, es handle sich um eine Diskussion über die Ehre von Politikern, Parteien und Beamten. Darum geht es nicht. Es geht um diejenigen, die vertrieben und ermordet wurden. Wenn wir das vergessen hat die Propaganda gesiegt.“

Alliierte Hilfe und 50 Jahre Untätigkeit

Im Nachkriegs-Deutschland wurde die Stempel-Verordnung ebenso wie viele andere Nazi-Vorschriften durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1[60] Wikipedia über das Kontrollratsgesetz Nr. 1, abgerufen am 20.8.2024. am 20. September 1945 von den vier Alliierten aufgehoben. Warum dauerte es aber mehr als 50 Jahre, bis der Bundestag das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege[61] Wikipedia über das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege; Gesetzestext, abgerufen am 20.8.2024. (NS-AufhG)“ verabschiedete?

Nicht nur die Beamtenschaft an der Spitze des Bundesministeriums der Justiz (Die Akte Rosenburg[62] Christoph Safferling, Manfred Görtemaker, „Die Akte Rosenburg – Das BMJ und die NS-Zeit“, 600 Seiten. Die Buchfassung (ISBN 978-3-406-69768-5) erschien 2016 im Verlag C.H. Beck. Eine Kurzfassung von 48 Seiten kann auf der Website des Ministeriums heruntergeladen werden.) war bis weit in die 1970er Jahre hinein von ehemaligen Nazijuristen durchsetzt. Die überall präsenten Nazi-Seilschaften verhinderten die Verfolgung von Naziverbrechen.

Die Bundesregierung unter Kanzler Adenauer (CDU) hatte sich 1960 geweigert, mit Argentinien über die Auslieferung von Adolf Eichmann[63] Irmtrud Wijak „Fritz bauer 1903-1968. Eine Biografie. 2009, Seite 302. Zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer aao. zu verhandeln. Der damalige Jungpolitiker und spätere Bundeskanzler Helmut Kohl[64] Conrad Taler (alias Kurt Nelhiebel „Asche auf vereisten Wegen. Eine Chronik des Grauens. Berichte vom Auschwitz-Prozess“, Köln 2003, Seite 193. Zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer aao. (CDU) rechtfertigte 1962 die Nichtverfolgung von Naziverbrechen mit der dreisten Bemerkung, es sei seit der Naziherrschaft zu wenig Zeit vergangen, um sich ein abschließendes Urteil bilden zu können.

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der mit der Verfolgung von Nazitätern beauftragt war, sah sich selbst verfolgt: „Wenn ich mein [Dienst-]Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland[65] „Feindliches Ausland“, in „Der Spiegel“ vom 30.7.1995, zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer, abgerufen am 15.11.2024..“

Kommentar

Das Stempel-Szenario, ob schweizerisch, schwedisch oder deutsch, wirkt durchaus heutig: Wieder sollen Boote voll sein, Überfremdung drohe und Deutschland müsse den Deutschen zurückgegeben werden, tönt es populistisch bisweilen sogar aus dem Bundestag. Mit dem Wirtschaftsflucht-Argument werden Asylsuchende als Nassauer am deutschen Wohlstand diffamiert. Keiner der ausländerfeindlichen Schreihälse hat natürlich irgendetwas gegen Emigranten oder gar gegen Juden. Das Problem bestehe in der „Einwanderung als Gesamtheit“, wird unterstellt und ein Argument der Schweden-Nazis aufgegriffen. Herkunftsländer, Religionen usw. sind bei diesem Polit-Rezept gemäß aktuell-populistischem Belieben austauschbar. Gefordert wird sogar, hier geborenen Kindern von Migranten die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Peter Dehn

Der erste Prozess [66] Wikipedia über die Auschwitzprozesse, abgerufen am 20.10.2023. gegen 22 Täter des Vernichtungslagers Auschwitz konnte erst 1963 beginnen.

Strafen und Urteile wegen Verstößen gegen Nazi-Unrecht einschließlich der Pass-Verordnung, wegen Nichttragens des Sterns usw. wurden in Deutschland also erst durch das NS-AufhG von 1998 aufgehoben. Die durch das Unrechtsregime Verurteilten waren endlich rehabilitiert, wovon die Todesopfer des Volksgerichtshofes und der Vernichtungslager und die zahllosen anderen Opfer der Unrechtsjustiz freilich nichts hatten.


Hinweis: Für Übersetzungen aus dem Schwedischen ins Deutsche danken wir Jürgen Heinrich.

Fußnoten

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  • [1]Dieser Titel des Sachbuchs von Alfred A. Häsler (1967) und der von Markus Imhoof geschriebene und inszenierte gleichnamige Kinofilm (Silberner Bär und weitere Preise der Berlinale 1981) wurde zum Synonym für die Verweigerung der Hilfe für Asylbewerber, abgerufen am 13.11.2024.
  • [2]Vgl. Helmut Hubacher, Einreichung beim Nationalrat zum „J-Stempel“ vom 1.2.1995 in Bulletin des Schweizer Nationalrats Nr. 95.3039.
  • [3]Wikipedia über die Konferenz von Evian, abgerufen am 10.11.2024.
  • [4]Einer von ihnen war der Auto-Entwickler Josef Ganz, der 1951 ausgewiesen wurde.
  • [5]„Der schweizerische Beobachter“, gegründet 1927, setzt sich für Recht und Gerechtigkeit ein. Das Blatt griff 1954 die Asylpolitik des Landes während der Nazizeit kritisch auf.
  • [6]Urs Rauber bewertet in „Judenstempel: Korrektur einer Halbwahrheit“, erschienen am 19.3.2001 im „Beobachter“, den Bericht von 1954 neu, vor allem betreffend die Verantwortung des früheren Chefs der Fremdenpolizei Rothmund und die „Erfindung“ des roten „J“-Stempels betreffend, abgerufen am 10.11.2024.
  • [7]Claire Deuticke über das Gemälde, online auf The Art Inspector, abgerufen am 25.11.2024.
  • [8]„Beobachter“ aao.
  • [9]Wikipedia über Heinrich Rothmund, abgerufen am 15.10.2024.
  • [10]Vgl. Quellensammlung VEJ 2/127 und Bundesarchiv und Caspar Battegay, Naomi Lubrich „Jüdische Schweiz: 50 Objekte erzählen Geschichte“, Seiten 158-161. Hrsg.: Jüdisches Museum der Schweiz, Basel 2018, ISBN 978-3-85616-847-6. Zit.n. Wikipedia über den Judenstempel, abgerufen am 13.11.2024.
  • [11]Marco Jorio „Judenstempel“. Veröffentlicht am 10.3.2015 online in Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), abgerufen am 5.8.2024.
  • [12]GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Glossar J-Stempel, abgerufen am 13.11.2024.
  • [13]Wikipedia über Pastor Helmut Gollwitzer, abgerufen am 15.11.2024.
  • [14]Wikipedia über die Bekennende Kirche, abgerufen am 10.10.2024.
  • [15]C.C. Hamel an Gollwitzer am 26.11.1938, via Friedenszentrum des Martin Niemöller-Hauses, abgerufen am 15.11.2024.
  • [16]Vgl. M.M. Mäder "Die Juden in der Schweiz" vom 9.9.1997 unter Jüdisches Leben online, abgerufen am 12.12.2024.
  • [17]Der komplette Bericht „Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis 1955“ in der Datenbank Dodis für Diplomatische Dokumente der Schweiz, abgerufen am 10.10.2024.
  • [18]Helmut Hubacher aao.
  • [19]Ebenda.
  • [20]Schweizer Banken kümmerten sich erst unter internationalem Zwang um die Klärung von bis zu 55.000 Konten von Holocaust-Opfern und von Juden erpresste Vermögenswerte samt der Erben-Ermittlung, abgerufen am 10.8.2024.
  • [21]GRA aao.
  • [22]Georg Kreis „Eine unglaubliche Affäre – Die Schweiz und der Judenstempel“, Neue Zürcher Zeitung am 2.5.2023, abgerufen am 10.8.2024.
  • [23]Beobachter aao.
  • [24]Wikipedia über die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28.2.1933, abgerufen am 30.5.2023.
  • [25]Wikipedia über die „Verordnung über Reisepässe von Juden“, abgerufen am 5.9.2024.
  • [26]Vgl. Wikipedia über das Reichsbürgergesetz, abgerufen am 20.10.2024.
  • [27]Wikipedia über die „Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“, abgerufen am 10.8.2024.
  • [28]Wortlaut der Polizeiverordnung, abgerufen am 25.11.2024.
  • [29]„Vor 75 Jahren: Ausreiseverbot für Juden“, Bundeszentrale für politische Bildung online am 19.10.2016, abgerufen am 10.8.2024.
  • [30]Wikipedia über die Wannseekonferenz, abgerufen am 15.8.2024.
  • [31]Wikipedia über Hans Globke, abgerufen am 20.10.2024.
  • [32]Reinhard Wolff „Hässliches Mobiliar im schönen Volksheim“ in Die Tageszeitung (TAZ) am 5.2.2000, abgerufen am 1.8.2024.
  • [33]Wikipedia (schwedisch) über Johan Thyrén, abgerufen am 25.11.2024.
  • [34]Zit.n. Ola Larsmo „Aus der Geschichte mit dem J-Pass lassen sich keine politischen Schlüsse ziehen“ in Dagens Nyheter (schwedisch) am 19.6.2023,. Via wayback, abgerufen am 25.11.2024.
  • [35]Wikipedia über Arthur Engberg (schwedisch), einen sozialdemokratischen Politiker Schwedens, der sich Mitte der 1920er Jahre vom Antisemitismus entschieden abgewendet hatte.
  • [36]Vgl. Larsmo aao.
  • [37]Auf Einladung der USA hatten 32 Staaten in dem französischen Ort vom 6. bis 14. Juli 1938 ergebnislos über die Aufnahme von Juden verhandelt. Vgl. Wikipedia über die Konferenz vom Evian, abgerufen am 20.11.2024.
  • [38]Zit.n. Wolff aao.
  • [39]Wikipedia über die spätere Regierungschefin Israels, abgerufen am 17.9.2024.
  • [40]Golda Meir „My Life“. New York 1975, Seite 158. Zit nach Wikipedia über die Evian-Konferenz aao.
  • [41]Die britische Asylpolitik endet mit der Inhaftierung Zehntausender Flüchtlinge und der Abschiebung von rund 10.000 Zivilinternierten nach Übersee.
  • [42]Zit.n. Wolff aao.
  • [43]Vgl. Larsmo aao.
  • [44]Vgl. "Förföljelsen av judar under 1930-talet" (Schwedisch) online bei Forum för levande historia (Forum für lebendige Geschichte), abgerufen am 21.12.2024.
  • [45]Ein kurzer Hintergrund über die „White Australia Policy“ veröffentlich das Nationalmuseum Australiens.
  • [46]Zitat aus einer Wahlkampfrede von Joseph Lyons am 28. September 1937.
  • [47]John Rickard „Australian Dictionary of Biography“ über Thomas White, zit.n. Joseph Toltz „Loss, trials and compassion: music of Australia's Jewish refugees“, University of Sydney online, abgerufen am 10.12.2024.
  • [48]Vgl. Wikipedia „Sweden during World War II“, abgerufen am 25.11.2024.
  • [49]Vgl. Wikipedia über die Schlacht um Belgien, abgerufen am 25.11.2024.
  • [50]Wikipedia über die Geschichte der Niederlande, abgerufen am 25.11.2024.
  • [51]Joseph Goebbels, Tagebucheintrag 1942, zit.n. Süddeutsche Zeitung vom 11.5.2010, abgerufen am 1.8.2024.
  • [52]Wikipedia über Raoul Wallenberg, abgerufen am 5.7.2024.
  • [53]Wikipedia über Graf Bernadotte, abgerufen am 5.7.2024.
  • [54]„Die Deportation der Juden“, norwegisches Holocaust-Dokumentationszentrum HOL-Senteret, abgerugfen am 26.11.2024.
  • [55]Der Wikipedia-Beitrag über die Geschichte der Juden in Norwegen verweist u.a. darauf, dass der verantwortliche Polizeichef von Oslo Knut Rød Später vom Vorwurf der Kollaboration freigesprochen wurde und bis 1965 im Polizeidienst blieb. Abgerufen am 25.11.2024.
  • [56]Vgl. Wolff aao.
  • [57]Wikipedia über die SD-Partei, abgerufen am 20.8.2024.
  • [58]Zit.n. Ola Larsmo aao.
  • [59]Vgl. Ola Larsmo aao.
  • [60]Wikipedia über das Kontrollratsgesetz Nr. 1, abgerufen am 20.8.2024.
  • [61]Wikipedia über das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege; Gesetzestext, abgerufen am 20.8.2024.
  • [62]Christoph Safferling, Manfred Görtemaker, „Die Akte Rosenburg – Das BMJ und die NS-Zeit“, 600 Seiten. Die Buchfassung (ISBN 978-3-406-69768-5) erschien 2016 im Verlag C.H. Beck. Eine Kurzfassung von 48 Seiten kann auf der Website des Ministeriums heruntergeladen werden.
  • [63]Irmtrud Wijak „Fritz bauer 1903-1968. Eine Biografie. 2009, Seite 302. Zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer aao.
  • [64]Conrad Taler (alias Kurt Nelhiebel „Asche auf vereisten Wegen. Eine Chronik des Grauens. Berichte vom Auschwitz-Prozess“, Köln 2003, Seite 193. Zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer aao.
  • [65]„Feindliches Ausland“, in „Der Spiegel“ vom 30.7.1995, zit.n. Wikipedia über Fritz Bauer, abgerufen am 15.11.2024.
  • [66]Wikipedia über die Auschwitzprozesse, abgerufen am 20.10.2023.

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