Dunera

„99,1 Prozent britisch“


Die Abschiebung deutscher und österreichischer Flüchtlinge nach Australien hat eine Vorgeschichte, die bis an den Anfang der 1930er Jahre zurückreicht. Dass unter Regierungen der United Australia Party[1] Die United Australia Party (UAP) entstand 1931 als konservative Abspaltung der soziademokratischen Labor Party, die sich mit der Nationalist Party vereinigte. 1945 wechselten die Parlamentarier der UAP in die Liberal Party of Australia. Vgl. Wikipedia (englisch) über die UAP. ab 1932 ein Australien der rassi(sti)schen Reinheit propagiert wurde, erfuhr der erstaunte Leser aus einem Beitrag von Paul R. Bartrop, Sie waren in Australien, aber sie gehörten nicht dazu, beschreibt der renommierte australische Historiker die Situation der Juden und Nazigegner, die in seiner Heimat zwei Jahren lang hinter Stacheldraht gefangen waren. Wir verweisen auf einige Argumente, die leider keine Vergangenheit sind. Den Text von Paul R. Bartrop geben wir im vollen Wortlaut wieder. In der rechten Spalte fügen wir zusätzliche Infos hinzu.

Übersetzung und ergänzende Recherchen: Peter Dehn.

Australien und die Internierten aus Großbritannien und Singapur im Jahr 1940

Von Prof. Dr. Paul R. Bartrop

Am 15. Juni 1940 ersuchte der britische Hochkommissar in Canberra die australische Regierung, „feindliche ausländische Internierte“ zur Internierung in Australien zu akzeptieren. Am 3. Juli 1940 erklärte sich Australien bereit, bis zu 6.000 Internierte aus Großbritannien und den Straits Settlement[2] Wikipedia über die damaligen britischen Kolonien in Südostasien bezeichnetm zu denen u.a. Singapur und Gebiete des heutigen Malaysia zählten. zur Internierung in Australien aufzunehmen.

In einem Memorandum vom 13. September 1940 erklärte sich Australien jedoch nur bereit, Kriegsgefangene und Internierte für eine Internierung in Australien aufzunehmen. Großbritannien wurde darüber informiert, dass ausschließlich im Vereinigten Königreich internierte Personen nach Australien geschickt werden sollten, und diese würden in Australien interniert bleiben, bis sie nach Großbritannien zurückgeschickt und dort freigelassen[3] Diese Bedingung behinderte die Internierten, weil sie zuerst nach Großbritannien geschafft werden mussten, um ihre Freiheit zu erlangen. Während des Krieges konnte das nur unter Lebensgefahr geschehen. Die australische Menzies-Regierung wollte Internierte dadurch aus dem Land heraushalten. werden.

Diese Politik stützte sich auf eine 1933 getroffene Entscheidung in Bezug auf jüdische Flüchtlinge, dass „kein unangemessener Zustrom“ von Juden nach Australien zugelassen werden sollte, eine Position, die während des gesamten Jahrzehnts beibehalten wurde. Man ging davon aus, dass eine große Zahl jüdischer Flüchtlinge, die vor Nazi-Deutschland flohen, die rassische Homogenität des Landes – nach Ansicht von Rassenpuristen 97 % Briten – verwässern[4] Wie sich die rassistische Propaganda damaliger konservativer Regierungen und heutiger Ultrarechter vor einer angeblich drohenden „Überfremdung“ doch ähneln … würde. Schlimmer war eine Furcht, dass Australien unter jüdische „Vorherrschaft“ fiele und der australische Lebensstandard sinken würde. Man war sich auch darüber im Klaren, dass der absichtliche Ausschluss von Flüchtlingen Australien die Chance nehmen würde, nützliche Fähigkeiten und Kapital zu erwerben, die von potenziellen „guten“ Juden eingebracht werden würden.

Australien ging einen Kompromiss ein; einige jüdische Flüchtlinge werden akzeptiert. Australien würde sich seiner humanitären Verpflichtungen entziehen, und die rassische Zusammensetzung des Landes bliebe im Wesentlichen intakt. Die von Australien angenommenen Rassenkriterien führten dazu, dass 90 % aller in Frage kommenden Bewerber, die alle australischen Einwanderungsbedingungen erfüllten, allein deshalb abgelehnt wurden, weil sie Juden waren.

Mit Kriegsausbruch im September 1939 weigerte sich Australien, jüdische Ausländer aus Feindstaaten aufzunehmen, wenn sie aus dem nationalsozialistischen Europa stammten, und erlaubte Ausländern mit Wohnsitz außerhalb der europäischen Länder nur in Ausnahmefällen die Einreise.

In diesem Zusammenhang ist die Aufnahme der Internierten der Dunera und Queen Mary durch Australien zu sehen. Um freigelassen zu werden, müssten die Internierten nach Ansicht der Australier zunächst nach Großbritannien oder Singapur zurückgeführt und dort auf freien Fuß gesetzt werden. Es gäbe keine Möglichkeit, dass sie in Australien blieben, und es war nie beabsichtigt, dass sie die jüdische Bevölkerung Australiens vergrößern würden.

Australien nahm 1940 über 2.300 Juden aus Großbritannien und Singapur auf. Die Internierten lebten in abgelegenen Lagern in New South Wales und Victoria, ohne dass sie Kontakt zur australischen Bevölkerung hatten. Sie waren in Australien, aber sie gehörten nicht dazu. Ihre Lage blieb für den Rest des Jahres 1940 und 1941 unverändert.

In der Zwischenzeit überdachte das britische Unterhaus die Verhaftungen, die aus Flüchtlingen Internierte machte. Im Oktober 1940 wurden in einem Weißbuch Ausnahmen festgelegt, die die meisten Internierten betrafen, die nach Australien geschickt worden waren. Im November 1940 forderte Großbritannien Australien auf, die Freilassung von Internierten zu erwägen, die für eine Verbringung in die Vereinigten Staaten und andere Länder in Frage kamen.

Das britische Innenministerium entsandte Major Julian Layton nach Australien, um zwischen der britischen Regierung, den Internierten und den australischen Behörden zu vermitteln. Während Laytons Besuch noch bevorstand, telegrafierte Australien dem Hochkommissar in London, dass man keine Einwände gegen die Rückführung der Internierten nach Großbritannien habe, „vorausgesetzt, diese Personen werden erst außerhalb der Gerichtsbarkeit des Commonwealth aus der Internierung entlassen“.

Am 10. April 1941 besuchte Layton zum ersten Mal die Internierten im Lager von Hay, News South Wales. Er teilte mit, dass die Internierten nicht nach Australien entlassen würden, und handelte aus, dass mehrere hundert Internierte nach Großbritannien repatriiert würden  – unter der Bedingung, dass sie sich dem Pioneer Corps[5] Unbewaffnete Einheiten der britischen Armee. anschlossen. Internierte, die nicht nach Großbritannien überstellt werden wollten oder der Meinung waren, dass es weniger riskant sei, in Australien zu bleiben, blieben in der Internierung.

Am 5. September 1941 erklärte der scheidende Innenminister Harry Foll, dass eine begrenzte Freigabe hochqualifizierter Internierter für den Kriegseinsatz „in keiner Weise bedeuten soll, dass den betreffenden Personen gestattet werden wird, nach dem Krieg in Australien zu bleiben“, und unter diesem Vorbehalt konnten im November 1941 qualifizierte Internierte zur Arbeit in Projekten von nationaler Bedeutung freigelassen werden.

Dies änderte sich mit dem Kriegseintritt Japans im Dezember 1941, als eine Invasion wahrscheinlich schien. Mehr als 100.000 australische Männer wurden zum Vollzeitdienst eingezogen, darunter viele, die zuvor in ausgewählten Berufen wie der Landwirtschaft tätig waren, und es kam zu einer Beschäftigungskrise (einem Mangel an Arbeitskräften, pd). Der Armeeminister richtete ein Arbeitskorps nach dem Vorbild des britischen Pioneer Corps ein, die 8th Employment Company[6] Unter den 39 Arbeitseinheiten der australischen Armee spielte die 8th Employment Company eine besondere Rolle: Dort dienten ausschließlich ehemalige Internierte. Juden und Nazigegner, die in Australien bleiben wollten, konnten dort die eingezogenen Australier ersetzen. Wichtigste Arbeitsplätze waren die Bahnhöfe Albury und Tocumwal. Dort mussten militärische und zivile Güter zwischen Zügen unterschiedlicher Spurweite der Bundesstaaten Victoria und New South Wales umgeladen werden., die aus entlassenen ungelernten Internierten zusammengesetzt wurde.

Schließlich zwang der Kriegsdienst der in der 8. Employment Company Organisierten die Regierung 1948 dazu, die Dauerhaftigkeit ihrer Migration zu überdenken.

Joseph A. Lyons (*1879) war von 1932 bis zu seinem Tod 1939 Ministerpräsident Australiens.

Lyons hatte Ende 1934 vergeblich versucht, die Einreise des jüdischen Schriftstellers Egon Erwin Kisch[7] Australien hatte dem Kommunisten, Juden und Schriftsteller Kisch die Einreise verboten, um seine Teilnahme an antifaschistischen Veranstaltungen zu verhindern. Vgl. Wikipedia (englisch) über die Reise, über die er selbst 1937 in „Landung in Australien“ (u.a.Sammlung Luchterhand, Darmstadt 1975, ISBN 3-472-61190-1) schreibt.   und seine Reden auf antifaschistischen Veranstaltungen
zu verhindern.

Im Wahlkampf 1937 forderten Lyons und seine United Australia Party (UAP) im Sinne der White Australia Policy[8] Ein kurzer Hintergrund über die „White Australia Policy“ veröffentlich das Nationalmuseum Australiens. „finanzielle Ermutigungen, um es britischen Migranten zu ermöglichen, den britischen Charakter unserer Bevölkerung in vollem Umfang zu bewahren. Unsere Bevölkerung ist zu 99,1 % britischer Nationalität[9] Zitat aus einer Wahlkampfrede von Joseph Lyons am 28. September 1937. und das soll auch so bleiben.

Die „White Australia Policy“ war 1901 gesetzlich eingeführt worden. 1966 begann eine schrittweise Abwendung. Erst 1975 wurde dem ein Ende kraft Gesetzes gemacht.

Jedoch entschuldigten sich Regierung und Parlament erst 2008 und nach einem Machtwechsel zugunsten der Labor Party für das rassistische Unrecht[10] Der Wikipedia-Eintrag zum "National Sorry Day" zitiert die Entschuldigungs-Rede des Premierministers Kevin Rudd (Labor Party) vom 13.2.2008., an den Menschen der „First Nations“. Zu diesen Verbrechen gehörten 35.000 Zwangsadoptionen von Aborigines-Kinder zwischen 1920 und 1969.

Die Dunera brachte Anfang September 1940 nach einer 57tägigen Reise des Schreckens mehr als 2.000 Flüchtlinge und 450 Überlebende der Arandora Star nach Australien. Quelle: Australian War Museum Nr. 303219, Public Domain.

270 Juden, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, wurden aus dem gefährdeten Exilort Singapur ebenfalls im September 1940 nach Australien gebracht. Die Passagiere beider Dampfer fanden sich am Tag nach der Anlandung in Lagern hinter Stacheldraht wieder.

Robert G. Menzies (1894 – 1978) war von 1939 bis 1941 und von 1949 bis 1966 Premierminister Australiens.

Menzies versuchte 1954 vergeblich, mit Hilfe eines gekauften Überläufers die Kommunistische Partei als angebliche Spione für die UdSSR zu verbieten.

Er war einer der Architekten eines Abkommens, um Arbeiter aus der Bundesrepublik nach Australien zu holen. Kritiker – darunter Heinz Dehn – befürchteten, eine von den Nazis erzogene Generation würde ins Land geholt. Das bewahrheitete sich in etlichen Fällen.


Hinweis: Der hier veröffentlichte Beitrag erschien erstmals in englischer Sprache im Newsletter Nr. 117 der Dunera Association vom Februar 2024. Diese Veröffentlichung – auch in deutscher Übersetzung – wurde durch freundliche Genehmigungen des Autors Paul R. Bartrop und der Dunera Association ermöglicht.

Über den Autor: Der australische Historiker Paul R. Bartrop (*1955) beschäftigt sich seit seinem Studium in Melbourne intensiv mit dem Holocaust und anderen Genociden. Er lehrt in Australien und den USA. Zu seinen frühen Publikationen gehört „The Dunera Affair. A Documentary Ressource Book“ (Melbourne 1990). Der Band gibt Zugriff auf zahlreiche Dokumente rund um die Dunera und die Internierungen in Australien. Neben anderen Anerkennungen wurde er 2022 zum Fellow der britischen Royal Historical Society berufen.

Paul R. Bartrop. Foto: privat.

Fußnoten

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  • [1]Die United Australia Party (UAP) entstand 1931 als konservative Abspaltung der soziademokratischen Labor Party, die sich mit der Nationalist Party vereinigte. 1945 wechselten die Parlamentarier der UAP in die Liberal Party of Australia. Vgl. Wikipedia (englisch) über die UAP.
  • [2]Wikipedia über die damaligen britischen Kolonien in Südostasien bezeichnetm zu denen u.a. Singapur und Gebiete des heutigen Malaysia zählten.
  • [3]Diese Bedingung behinderte die Internierten, weil sie zuerst nach Großbritannien geschafft werden mussten, um ihre Freiheit zu erlangen. Während des Krieges konnte das nur unter Lebensgefahr geschehen. Die australische Menzies-Regierung wollte Internierte dadurch aus dem Land heraushalten.
  • [4]Wie sich die rassistische Propaganda damaliger konservativer Regierungen und heutiger Ultrarechter vor einer angeblich drohenden „Überfremdung“ doch ähneln …
  • [5]Unbewaffnete Einheiten der britischen Armee.
  • [6]Unter den 39 Arbeitseinheiten der australischen Armee spielte die 8th Employment Company eine besondere Rolle: Dort dienten ausschließlich ehemalige Internierte. Juden und Nazigegner, die in Australien bleiben wollten, konnten dort die eingezogenen Australier ersetzen. Wichtigste Arbeitsplätze waren die Bahnhöfe Albury und Tocumwal. Dort mussten militärische und zivile Güter zwischen Zügen unterschiedlicher Spurweite der Bundesstaaten Victoria und New South Wales umgeladen werden.
  • [7]Australien hatte dem Kommunisten, Juden und Schriftsteller Kisch die Einreise verboten, um seine Teilnahme an antifaschistischen Veranstaltungen zu verhindern. Vgl. Wikipedia (englisch) über die Reise, über die er selbst 1937 in „Landung in Australien“ (u.a.Sammlung Luchterhand, Darmstadt 1975, ISBN 3-472-61190-1) schreibt.  
  • [8]Ein kurzer Hintergrund über die „White Australia Policy“ veröffentlich das Nationalmuseum Australiens.
  • [9]Zitat aus einer Wahlkampfrede von Joseph Lyons am 28. September 1937.
  • [10]Der Wikipedia-Eintrag zum "National Sorry Day" zitiert die Entschuldigungs-Rede des Premierministers Kevin Rudd (Labor Party) vom 13.2.2008.

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