Dunera

Kitchener Camp

Tausende entkamen der Verfolgung durch die Nazis mit Unterstützung der jüdischen Hilfsvereine aus Deutschland. Erste Anlaufstelle in Großbritannien war für Heinz Dehn und 4.000 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich das Kitchener Camp bei Sandwich etwa 25 Kilometer östlich von Dover und nahe der Küste des Ärmelkanals. Die meisten Männer warteten dort auf Visa oder Reisegelegenheiten für Drittländer wie die USA. Das Kitchener Camp war als Durchgangslager für sie gedacht. Es handelte sich wohlgemerkt nicht um ein Internierungslager.

Peter Dehn im Januar 2024.

Wer weiß mehr über Männer vom Kitchener Camp?

Einer der Männer im Kitchener Camp war Heinz Dehn. Der Vater bzw. Großvater der Initiatoren dieser Website wurde wie tausende andere Flüchtlinge – trotz ihrer Einstufung als „befreundete Ausländer“ durch britische Tribunale – im Mai 1940 verhaftet und auf der Isle of Man interniert. Von den mehr als 2.000 Männern, die im Juli 1940 auf der Dunera nach Australien deportiert wurden, war wahrscheinlich annähernd jeder zweite als Transmigrant nach England gekommen.

1939 im Kitchener Camp: Von den 30 Männern (einer Hütte?) hatten mehr als 20 auf der Rückseite des Fotoabzuges ihre Unterschrift hinterlassen. Aber wie passen die Namen zu den Gesichtern? Wer sind die Männer, die nicht unterschrieben haben?
Quelle: Familienarchiv Dehn.

Das Foto aus dem Nachlass von Heinz Dehn entstand im Kitchener Camp und zeigt 30 Männer, die wahrscheinlich gemeinsam in einer „Hut“, einer Baracke, untergebracht waren. Auf der Rückseite haben 22 Männer unterschrieben. Leider sind nicht alle Unterschriften gut lesbar. Dennoch gelang es, zu 18 Namen biografische Kurzinformationen zu recherchieren. Heinz Dehn und vier dieser Kameraden wurden auf der Dunera nach Australien deportiert, zwei kamen über Singapur dorthin. Sechs wurden nach Kanada deportiert. Zwei Männer konnten in England bleiben, drei direkt in die USA emigrieren.

Gerne würden wir hier über alle 30 Männer kurz berichten und Biografien und Gesichter zusammenbringen.
dunera.de bittet um Unterstützung: Wer waren die Hut-Kameraden von Heinz Dehn? Was ist aus ihnen geworden?
Bitte schreiben Sie uns, wenn Sie helfen können!

Kurzbiografien von Männern auf dem Foto …

Leo Birnbaum
Er wurde 1904 in Wien geboren und war Bankangestellter. Die Briten deportierten ihn 1940 mit der Sobieski nach Kanada, wo er 1942 freigelassen wurde.

Erich Blitz
Der Kaufmann wurde 1902 in Wien geboren. Unbekannt ist, wie er und sein Bruder Walter vom Kitchener Camp nach Singapur gelangten. Dort wurden beide Ende August 1940 von den Briten interniert und mit der Queen Mary nach Australien gebracht, wo sie im Camp Tatura 3 eingesperrt wurden. Erich gehörte ab 1942 der 8th Employment Company der australischen Armee an; er wurde im Oktober 1945 als Sergeant demobilisiert und kurz darauf australischer Staatsbürger. 1943 hatte er eine Australierin geheiratet. Er verstarb 1958.

Walter Blitz
Walter war Erichs älterer Bruder, geboren 1898 ebenfalls in Wien. Auch er war im Kitchener Camp einquartiert, vielleicht in der gleichen Hut wie Erich und Heinz Dehn. Jedoch hat Walter nicht unterschrieben. Über Singapur führte sein Web in die Internierung in Tatura. Anfang 1942 wurde er in die Arbeitskompanie geschickt. Dort wurde er im Februar 1946 im Rang eines Corporal entlassen. Auch er wurde Bürger Australiens.

Chaim Bobker
Der polnische Jude, geboren 1896, war Kaufmann. Er wurde im Kitchener Camp interniert. Auf der Dunera nach Australien deportiert wurde er dort im Januar 1943 aus der Internierung entlassen. Er konnte in die USA reisen, weil seine Ehefrau Jennie US-Bürgerin war und in New York lebte. Chaim und Jennie hatten 1935 in Berlin geheiratet und wurden 1936 Eltern eines Sohnes. Die Schiffsakten vermerken allerdings, dass er beim Eintreffen in den USA kurzzeitig inhaftiert wurde.

Kurt Dahl
Er wurde 1914 in Geilenkirchen geboren, war Bauer und im Agrarbereich des Kitchener Camp tätig. Das Tribunal stufte ihn in die Kategorie „B“ ein. Er wurde mit der Ettrick nach Kanada deportiert und dort 1943 freigelassen. Später war er in Toronto in der Immobilienbranche tätig.

Heinz Dehn (16)
Eine ausführliche Biografie über Heinz Dehn lesen Sie auf dieser Website.

Benno Edel
Er stammt aus Wien, wo er 1907 geboren wurde. Er konnte in England bleiben und starb 1967 in Birmingham.

Heinz Falkenburg
Buchbinder, geboren 1903 in Dessau. Er kam wahrscheinlich zeitgleich mit Chaim Bobker ins Kitchener Camp. Auch er wurde mit der Dunera nach Australien geschickt. Mitte Dezember 1942 in wurde er aus der Internierung entlassen und reiste mit der Ekaterini im Dezember 1942 nach Palästina.

Kurt Fischer
Der 1895 in Hindenburg (Zabrze, Oberschlesien) Geborene lebte bis 1939 mit seiner Frau Hildegard in Trebnitz (Schlesien). Wahrscheinlich kurz nach den Novemberpogromen wurde er bis zum 8. Dezember 1938 im KZ Buchenwald (Häftlingsnummer 28277) inhaftiert. Er kann dann nach England fliehen. Er ist im Kitchener Camp untergebracht, gilt also offensichtlich als Transmigrant. Im Oktober 1939 wird er von der Internierung befreit, gleichwohl auf der Dunera nach Australien deportiert. Im Juli 1943, also mehr als ein Jahr nach den meisten andere Internierten, wird er aus der Internierung entlassen und reist nach Palästina. Dort beantragt er im September 1945 die Einbürgerung. Hildegard wurde am 3. Mai 1942 ins Ghetto Lublin deportiert, seither fehlt von ihr jede Spur.

Siegbert Kaufmann
Er wurde 1919 in Rotenburg geboren und floh von seinem letzten Wohnsitz in Kassel aus nach England. Er wurde auf der Ettrick nach Kanada deportiert. Nach der Entlassung aus der Internierung 1942 siedelte er sich dort an.

Alfred Leyser
Der Textilverkäufer wurde 1906 in Berlin geboren. Er heiratete 1934 und konnte mit seiner Frau Elli nach England fliehen, nachdem er vom 10. November bis 5. Dezember 1938 im KZ Sachsenhausen als einer der „Aktionsjuden“ inhaftiert war. Im September 1940 konnten beide mit Alfreds Schwiegereltern nach den USA reisen, wo sein Onkel Lesser bereits lebte.

Erich Littaur
Er wurde 1916 in Berlin geboren und war Verkäufer. Die Briten deportierten ihn 1940 mit dem ersten Schiff, der Duchess of York, nach Kanada. Er arbeitete nach seiner Freilassung als Apotheker in Montreal, wo er 2001 verstarb.

Hans Meyerstein
Der Textilkaufmann wurde 1901 in Wurzen geboren, von den Briten direkt im Kitchener Camp interniert und auf der Dunera nach Australien deportiert. Die Internierung endete Ende April 1943, als er aus dem Lager Tatura nach Melbourne entlassen wurde.

Schauell Milich
Er wurde am 26. August 1917 in Rawa Mazowiecka / Piotrkow (heute: Woiwodschaft Łódź, Polen) geboren. Der Friseur wurde auf der Ettrick nach Kanada deportiert und im März 1942 aus der Internierung entlassen. Nach einiger Zeit in England ging er in die USA, wo er 1954 eingebürgert wurde.

Artur Redlich
Der Handelsvertreter aus Wien, geboren 1900, wurde nach den Novemberpogromen 1938 kurzzeitig im KZ Dachau inhaftiert, konnte dann nach England entkommen. Ende August 1940 wurde er aus dem Kitchener Camp entlassen, um in die USA zu reisen. Dort wurde er 1946 eingebürgert.

Fritz Rosen
Der Grafiker wurde 1890 in Frankenthal geboren. Ende der 1920er Jahre hatte er das Logo für die Berliner S-Bahn entworfen. Dafür wurden ihm 800 Reichsmark gezahlt. Das Logo, ein Klassiker zeitlosen Designs, wird noch heute – und nicht nur in Berlin – als Blickfänger für S-Bahnen genutzt. Bereits Ende 1933 floh Fritz Rosen nach England und betrieb in London ein Studio für Werbegrafik. Er wurde Ende September 1940 aus dem Kitchener Camp in die Freiheit entlassen und baute ein Grafikstudio in Brighton auf. Dort starb er 1980.

Hans Schiller
Er wurde 1903 in Schlesien geboren und zog bald mit den Eltern nach Wien. Im Kitchener Camp wurde er als Hersteller von Modeartikeln geführt. 1940 konnte er mit seiner Frau Hildegard und einer Gruppe von Kameraden des Kitchener Camp nach News York reisen, wo ein Vetter lebte.

Sigbert Weinmann
Der 1908 in Treuchtlingen geborene gibt als Beruf Handelsreisender an. Er wurde auf der Sobieski nach Kanada deportiert. Nach seiner Freilassung 1942 blieb er dort und wurde kanadischer Staatsbürger.

V.l.n.r.: Erich Blitz, Walter Blitz, Heinz Falkenburg, Hans Frankenstein, Walter Fürst, Fritz Rosen, Ernst Wasser und Theodor Wolff.
Von Heinz Dehns Kameraden aus dem Kitchener Camp haben einige auf der Rückseite des Fotos unterschrieben. Andere Bekanntschaften mit Männer aus dem lager rührten u.U. aus Australien her. Die meisten Fotos sind den australischen Militärakten der Männer entnommen.

… und weiteren Kameraden des Kitchener Camps

Die hier genannten Männer vom Kitchener Camp haben nicht auf der Foto-Rückseite unterschrieben. Es ist nicht klar, ob sie in der gleichen Hütte wie Heinz Dehn untergebracht waren. Bekannt ist aber, dass Heinz Dehn Max Eckdisch und Kurt Wangenheim aus dem Durchgangslager kannte. Mit anderen wurde er später im australischen Internierungslager bekannt.

Max Eckdisch
Seine Familie betrieb mehrere Geschäfte in Stralsund. Während er (nach kurzer KZ-Haft) und seine Brüder Paul und Martin den Nazis entkamen wurden die Eltern und weitere Verwandte Opfer des Holocaust. Max konnte 1940 nach den USA ausreisen, wo seine Brüder bereits lebten. Heinz Dehn versuchte noch während des Krieges vergeblich eine Kontaktaufnahme. Max und Heinz hatten sich wahrscheinlich auf der Reise nach England oder in der Straßenbau-Kolonne des Kitchener Camp kennengelernt.

Hans Frankenstein
Der Kinderarzt Dr. Hans Frankenstein aus Görlitz war Sprecher der etwa 250 Männer, die direkt aus dem Kitchener Camp auf die Dunera gebracht wurden.

Walter Fuerst
Walter Fuerst stammt aus Wien. Der Dunera Boy war 1951 einer der Trauzeugen von Heinz und Ida Dehn.

Kurt Wangenheim
Der Berliner Anwalt (Jahrgang 1902) gehört zu den Deportierten der SS Sobieski. Er wurde 1943 im Kanada eingebürgert und heiratete dort Elisabeth Hern. Seine Eltern wurden 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sein Bruder Fritz wurde 1942 aus dem belgischen Exil nach Auschwitz gebracht (ähnlich wie vier Angehörige von Ida Dehn). Zusammen mit anderen deutschstämmigen Kanadiern veröffentlichten die Wangenheims ein Sachbuch über die deutsche Einwanderung und die sozioökonomische Situation der Neukanadier. Kurt verstarb 1978 in Toronto.

Ernst Wasser
Eine ausführliche Biografie über den Kinderarzt und „Passagier“ der Dunera Dr. Ernst Wasser liegt hier vor.

Theodor Wolff
Er wurde 1905 in Bogdaj/Polen geboren und war Kaufmann und Mechaniker. 1935 heiratete in Berlin. Er arbeitete von 1926 bis 1936 in Webereien und ab 1936 in einer jüdischen Organisation in Berlin. Er traf am 11. Juni 1939 im Kitchener Camp ein und wurde auf der Dunera deportiert. Im australischen Internierungslager Tatura Nr. 7 leitete er die Kantine. Anschließend diente auch er vom Juli 1943 bis Oktober 1945 in der 8th Employment Company der australischen Armee als Kraftfahrer. Später reiste für die UNRRA nach Griechenland. Leiter der von einer jüdischen Hilfsorganisation organisierten Gruppe war Dr. Wasser. Theodor Wolff fungierte als dessen Stellvertreter. Danach kehrte er nach Australien zurück, wo er naturalisiert wurde.

Das Kitchener Camp im Jahr 1939. Quelle: Website des Camps, Sammlung Erich Peritz.

Hinweis: Recherchiert wurde u.a. in den digitalisierten Unterlagen des National Archives of Australia (NAA) und der Datenbank Mapping the Lives, die auf Daten der Volkszählung der Nazis vom 17. Mai 1939 basiert. Weitere Information finden sich auf Stammbaum-Websites wie ancestry.de und myheritage.de (Paywall). Nachträglich konnten wir Informationen und Hinweise von der Gedenkstätte Sachsenhausen berücksichtigen, die u.a. zum neuen Eintrag für Artur Redlich führten. Aus einer Überprüfung der noch nicht geklärten Namen eine erfolgreiche Recherche zu Kurt Fischer, dessen Kurzbio ergänzt werden konnte. Ergänzungen zu einigen Biografien wurden dem Buch „Deemed Suspect“ von Eric Koch entnommen. Der Autor war selbst einer der 1940 nach Kanada deportierten Männer und fügte seinem Sachbuch eine umfangreiche Liste mit biografischen Kurzinformationen hinzu.
Umfangreiche Infos finden sich auf der Website, die an das Kitchener Camp erinnert.

Danke für Ihr Interesse an dunera.de. Leider können aus rechtlichen Gründen keine Bilder oder Grafiken heruntergeladen werden. Bitte kontaktieren Sie uns bei Fragen zu Bildern/Grafiken!

Thank you for your interest in dunera.de. Unfortunately, images or graphics cannot be downloaded for legal reasons. Please contact us if you have any questions regarding images/graphics!

Inhaltsverzeichnis
Nach oben scrollen

Impressum | Datenschutz | Haftungsausschluss