Dunera

Erich Tichauer

Erich Tichauer war, wie Heinz Dehn ein Dunera-Boy, der 1940 von den Briten nach Australien abgeschoben wurde. Erich war ein religiöser Jude, Heinz ein Kommunist. Beide trennte also Einiges. Dennoch hielten sie lange Kontakt und 1951 war Erich ein „best boy“ – einer der beiden Trauzeugen – des Ehepaares Heinz und Ida Dehn, der Eltern des Autoren.
Leider fanden sich nur wenige Spuren von Erich. Dennoch soll nicht versäumt werden, auch ihm einen kleinen digitalen Erinnerungsstein zu setzen.

Peter Dehn im Januar 2024.

Der Trauzeuge

Erich Tichauer[1] Vgl. National Archives of Australia (NAA), NAA_ItemNumber196114. wurde am 2. Februar 1898 im schlesischen Ratibor (heute Racibórz, Polen) geboren. Seine Eltern waren Moritz Tichauer und Sophie Epstein[2] Heiratsurkunde Stadt Groß Strelitz Nr. 24 vom 25.11.1883., die 1883 in Groß Strelitz (heute Strzelce Opolskie, Polen) geheiratet hatten. Er hatte vier Geschwister. Im 1. Weltkrieg hatte er von 1916 bis 1918 bei der Artillerie gedient, zuletzt im Rang eines Korporals. Der Kriegsdienst hatte seine Berufsausbildung in der Lederbranche unterbrochen. Nachdem Krieg fand er Arbeit in Gerbereien. In Berlin arbeitete er zunächst in einer Lederfabrik, dann in einer Schuhfabrik. 1921 ging er zurück nach Ratibor, um in der Fabrik für technische Lederprodukte tätig zu werden, die sein Vater leitete.

Er gehörte zu den „Aktionsjuden[3] Wikipedia über Aktionsjuden, abgerufen am 20.11.2023.“, die nach der Progromnacht am 9. und 10. November 1938 im KZ Buchenwald[4] Vgl. Veränderungsmeldungen KZ Buchenwald vom 26.11. bis 2.12.1938, Arolsen-Archives 8012500072, abgerufen am 20.7.2023. eingesperrt wurden, um ihnen gegenüber ein Bedrohungsszenario aufzubauen und eine Flucht zu erzwingen.

Im März 1939 konnte er mit Unterstützung des Jewish Refugees Committee und einer Bürgschaft seiner dort lebenden Schwester Paula Magnus (1885 – 1879) und ihres Mannes Dr. Georg Magnus nach England fliehen. Er war später verlobt mit einer Mitarbeiterin des JRC. Seine Schwester Rosa Müller lebte bereits in Melbourne.

Nach Einstufung in die Kategorie „C“ als nicht zu internierender Ausländer und einem Jahr Aufenthalt in England hatte er Arbeit in einer Leder- und Schuhfabrik in Cardiff/Schottland. Nachdem diese Branche im Juni 1940 für kriegswichtig erklärt wurde, verlor er als „feindlicher Ausländer“ und im Zuge einer – auch vom Prime Minister Churchill popularisierten Furcht vor potenziellen Nazi-Spionen – seine Arbeit. Er wurde in das Lager Lingfield gebracht. Wenig später wurde er interniert. Kurz darauf entledigte sich Großbritannien der Verantwortung mehr als 2000 Flüchtlingen, die auf der Dunera nach Australien abgeschoben wurden.

Die ersten etwa zwei Jahre verbrachte er hinter Stacheldraht in den Internierungslagern Hay, Loveday und Tatura. Im dortigen Camp 2 hatte er den Synagogen-Chor der Häftlinge organisiert und dirigiert. Mit dem Ende seiner Internierung 1942 endete auch diese Tätigkeit. Die Vertreter der jüdischen Community[5] Dankschreiben vom 15.11.1942. Im Bestand des Jewish Museum of Australia. Übersetzung: Peter Dehn. im Lager dankten ihm:

„Dank Ihrer besonderen Fähigkeiten und Gaben und ihrer umfassenden Kenntnis der liturgischen Hymnen und ihres kompletten Verständnisses der Gottesdienste haben Sie erfolgreich zur Würde der Gottesdienste beigetragen, vor allem anlässlich der Hohen Feiertage und anderen Feste und der Schabbats. Trotz zunehmender Schwierigkeiten wegen Freunden, die uns verlassen haben, haben Sie den Chor bis zuletzt in guter Form gehalten.“

Der nächste Lebensabschnitt führt Erich Tichauer, wie Heinz Dehn und viele andere Ex-Internierte, in die 8th Employment Company, eine ausschließlich aus jüdischen Ex-Internierten gebildete Arbeitseinheit der australischen Armee[6] Militärakte Erich Tichauer, NAA_ItemNumber6259385; Australian Government, Dept. Of Veteran’s Affairs, Bescheinigung über Dienst im 2. Weltkrieg.. Dort tut er vom 16. November 1942 bis zum 28. Februar 1946 Dienst.

Im Juli 1945 stellt er den Antrag auf australische Staatsbürgerschaft[7] NAA_ItemNumber780693.. Zugleich änderte er seinen Namen in Eric Robert Towers.

1948 heiratete er die Witwe Grace Veronica Schmolka geborene Hill (19.7.1909 – 27.10.1999). Sie wohnten lt. australischen Wählerlisten mindestens bis 1980 im Melbourner Vorort Elsternwick.

Schon kurz nach Kriegsende hatte sich Eric Towers zusammen mit seinem in London lebenden Vater Moritz um eine Rückerstattung[8] Vgl. Fußnote 1. für die von den Nazis enteignete Lederwarenfabrik in Ratibor bemüht. Die Versuche scheiterten. Zum einen konnte oder wollte die ehemalige Hausbank, inzwischen mit Sitz in Westdeutschland, wegen angeblicher Kriegszerstörungen keine Auskünfte geben. Zum anderen wurden die Recherchen durch die Differenzen mit der Sowjetunion und Polen im beginnenden Kalten Krieg blockiert.

Eric Towers verstarb[9] Vgl. Angaben auf ancestry.de. am 6. Februar 1988 in Melbourne.

Erich erfüllt seine Pflicht, den Antrag auf Naturalisierung in der Tagespresse mitzuteilen (The Age, 19. Mai 1945).

Das einzige bekannte Foto stammt aus Erichs Armeeakte.
Quelle: NAA_ItemNumber6259385
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Fußnoten

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  • [1]Vgl. National Archives of Australia (NAA), NAA_ItemNumber196114.
  • [2]Heiratsurkunde Stadt Groß Strelitz Nr. 24 vom 25.11.1883.
  • [3]Wikipedia über Aktionsjuden, abgerufen am 20.11.2023.
  • [4]Vgl. Veränderungsmeldungen KZ Buchenwald vom 26.11. bis 2.12.1938, Arolsen-Archives 8012500072, abgerufen am 20.7.2023.
  • [5]Dankschreiben vom 15.11.1942. Im Bestand des Jewish Museum of Australia. Übersetzung: Peter Dehn.
  • [6]Militärakte Erich Tichauer, NAA_ItemNumber6259385; Australian Government, Dept. Of Veteran’s Affairs, Bescheinigung über Dienst im 2. Weltkrieg.
  • [7]NAA_ItemNumber780693.
  • [8]Vgl. Fußnote 1.
  • [9]Vgl. Angaben auf ancestry.de.

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