Dunera

Die Reise der Dunera
Teil 2

Die HMT Dunera verlässt Liverpool am 10. Juli 1940. Ziel des mit rund 2.500 Internierten und Kriegsgefangenen sowie etwa 300 Bewachern plus der Besatzung total überladenen Schiffs ist Australien. Schon am 12. Juli 1940 wird das unbegleitete und nicht als Gefangenentransporter gekennzeichnete, jedoch sichtbar bewaffnete, Schiff von dem deutschen U-Boot U-56 angegriffen. Die beiden Torpedos explodieren nicht. Die an Bord hinter Stacheldraht gehaltenen Gefangenen sind zutiefst erschrocken; es kommt zur Panik. 451 von ihnen hatten erst wenige Tage vorher, am 2. Juli 1940, die Versenkung des Internierten-Schiffes Arandora Star durch U-47 mit knapper Not überlebt.
Für diesen Beitrag wurden die historischen Fakten recherchiert, um der Legende auf den Grund zu gehen, die sich um die Torpedierung der Dunera rankt. Eine wichtige Rolle dabei spielt der Roman eines anonymen Autors, der – wie andere Kriegsliteratur aus der Bundesrepublik Deutschland – historische Authentizität nur behauptet.

Peter Dehn im Februar 2024.

Die Versenkung der Arandora Star – ein „Erfolg“ im Seekrieg

Die Arandora Star ist das zweite von vier britischen Deportations-Schiffen mit dem Reiseziel Kanada. An der Versenkung am 2. Juli 1940 zeigte die Seekriegsleitung (Skl) der Nazi-Marine zunächst wenig Interesse, obwohl aus dem Abhören von „Feindsendern“ wie der BBC sofort bekannt wird, dass unter den 800 Opfern viele Deutsche sind. Dennoch notiert das Skl-Kriegstagebuch[1] Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (Skl) 1940, Seite 57.: „U 47 meldet mit ‚Arandora Star‘ 10 Dampfer versenkt. Damit erhöht sich der Tonnageerfolg des Bootes auf 66 600 BRT.“ Den Schiffsnamen kann Kapitänleutnant Günther Prien, von den Nazis als Seeheld gefeiert, aber nicht eindeutig gemeldet haben. Das wird der Mannschaft laut Zeugen[2] Jochen Brennecke, Interview mit Hans-Werner Kraus, Nachlass Brennecke im Bundesarchiv, N 852/32. erst nach der Rückkehr in Kiel bestätigt.

Die Schicksale der Internierten scheinen der deutschen Admiralität um den Chef der U-Boote Karl Dönitz (später als Kriegsverbrecher und Hitler-Nachfolger in Nürnberg abgeurteilt) allenfalls ein Nachdenken[3] Kriegstagebuch aao, Seite 99., „ob es zweckmäßig ist, den Vorfall propagandistisch auszunutzen“. Für die Nazis gelten ohnehin nur die deutschen Seeleute und Kriegsgefangenen als Deutsche, nicht jedoch die Bürger des Kriegspartners Italien und schon gar nicht die namentlich bekannten mehr als 160 jüdischen Flüchtlinge und Gegner des Nationalsozialismus an Bord der Arandora Star. Sie wurden zuvor von fragwürdigen Tribunalen willkürlich und sachwidrig als „enemy aliens[4] Feindliche Ausländer.“ (Kategorie „A“) oder Verdächtige (Kategorie „B“) eingestuft. Dadurch wurden sie als potenzielle Verräter[5] Vgl. u.a. Rainer Radok „Von Königsberg nach Melbourne“, Lüneburg 1998 und weitere Augenzeugenberichte. diffamiert und interniert.

Die 1927 in Dienst gestellte Arandora Star war ein Kreuzfahrtschiff der Luxus-Klasse für nur 354 Passagiere. Die Versenkung durch U-47 forderte 800 Opfer.

Der Angriff auf die HMT Dunera

Die HMT Dunera[6] HMT = Hired Military Transporter – bei einer Reederei für die Marine angemietetes Schiff., für den Transport von 1.157 Militärs zugelassen[7] Vgl. Wikipedia über die HMT Dunera, abgerufen am 25.7.2023., sticht am 10. Juli 1940 von Liverpool nach Australien in See. An Bord wurden mehr als 2.000 Juden und politische Flüchtlinge sowie 451 Überlebende der Arandora Star gebracht. Unter den 251 Deutschen und Österreichern der letztgenannten Gruppe sind nicht nur internierte Seeleute (z.B. von der Adolf Woermann und dem Blockadebrecher Uhenfels) und Geschäftsleute, unter ihnen sind mit Sicherheit etliche Nazis, aber auch rund 40 als Juden und Nazigegner bekannte Männer.

Wie die Arandora Star und im Widerspruch zu internationalen Abkommen ist die Dunera nicht als Gefangenentransporter oder mit Rot Kreuz-Zeichen gekennzeichnet, sondern führt sichtbar Maschinengewehre mit. Sie wird zu keinem Zeitpunkt durch einen Konvoi geschützt. Die vorgeschriebenen Übungen für den Seenotfall haben nie stattgefunden. „Alles in allem würde sich niemand einen Dreck um uns scheren“, notiert Rainer Radok[8] Peter und Leni Gilllman „‘Collar the Lot!‘ How Britain Interned And Expelled its Wartime Refugees“, London 1980, Seite 213., einer der überlebenden Juden der Arandora Star.

Die Reise der Dunera führte von Liverpool zunächst nicht nach Süden, denn „es war der Höhepunkt der ‚Happy Time‘ der U-Boote und die südwestlichen Zufahrten waren virtuell gesperrt“. Der Kapitän versuchte den deutschen U-Booten zu entgehen, indem er zunächst nach Norden fuhr. Am 12. Juli um 8 Uhr erreichte sie einen Punkt 20 Meilen westlich der Insel Barra[9] ebenda. im Süden der Äußeren Hebriden.

Dort gerät Dunera vor das Sehrohr von U-56. Denn die deutsche Seekriegsleitung (Skl) weiß natürlich, dass die Nordausfahrt aus der Irischen See Teil der Nordamerika-Route ist, die für Seetransporte zwischen Europa und Nordamerika obligatorisch ist.

Am Morgen des 12. Juli, kurz nach 10 Uhr, schweigen plötzlich die Maschinen der Dunera. Der jüdische Internierte Klaus Wilczynski[10] Klaus Wilczynski, „Das Gefangenenschiff“, Berlin 2001, Seite 71. berichtet:

„Ein heftiger Knall, wie wenn Metall auf Metall schlägt, schreckt mich auf. Der Schiffsleib dröhnt. Tassen und Teller fallen klirrend aus den Regalen auf der Steuerbordseite. Etwas Unheimliches, Gewaltiges, ist gegen die Bordwand geschlagen. (…) Da knallt es erneut. Dumpfer als beim ersten Mal, entfernter, doch irgendwie noch bedrohlich. Es klingt, als sei der Kiel auf einen schweren Gegenstand aufgeschlagen.“

Daraufhin bricht Panik aus, setzt Wilczynski seinen Bericht fort:

„Angstgetrieben drängt ein von Sinnen geratener Menschenknäuel nach oben, aufs Oberdeck, ans Licht. Vergessen ist die Seekrankheit, nur raus hier. Auf der Treppe geht nichts mehr.“

Nun pflanzen Wachtruppen Bajonette auf und drängen die Häftlinge von den Rettungsbooten weg und wieder in Richtung ihrer Quartiere. Offenkundig haben die Soldaten keinen Befehl für eine solche Situation, schreibt ein Besatzungsmitglied[11] Semaphore (Pseudonym), „I came to Australia with 3000 Germans“ in „Sydney Sunday Telegraph“ 6. und 13. Oktober 1940, Auszüge aus dem Tagebuch eines Seemanns der Dunera. Zit. n. Paul R. Bartrop, Gabrielle Eisen „The Dunera Affair“, Melbourne 1990, Seite 193 ff. („Semaphore“) der Dunera in sein Tagebuch.

Keinesfalls fraglich ist, dass die für 384 Passagiere plus Besatzung gedachten Rettungsboote nicht für die zugelassenen 1.157 Militärangehörigen und erst recht nicht für alle knapp 3.000 Häftlinge, Bewacher und Seeleute dieser Reise ausgereicht hätten. Sie alle kommen mit dem Schrecken davon, denn die Torpedos explodieren nicht und beschädigen das Schiff kaum.

Bald setzt sich unter den Internierten eine neue Erkenntnis[12] Wilczynski aao, Seite 72. durch. „Es kann so schlimm nicht gewesen sein. Kein Grund durchzudrehen …“ Die Dunera nimmt wieder Geschwindigkeit auf, die Kanone bleibt bemannt – gegen die verängstigten Internierten. Kurzzeitig begleitet ein Zerstörer die Dunera. Er eskortiert einen Kindertransport, dreht aber in Richtung Kanada ab. „Beide waren bald außer Sichtweite“, bestätigt „Semaphore[13] Semaphore aao, Seite 196 und Wilczynski aao, Seite 73/74.“.

Schussmeldung und Seekriegsleitung im Widerspruch

In seiner Schussmeldung[14] Schussmeldung der U-56 vom 12.7.1940, Historisches Marinearchiv, abgerufen am 25.6.2023. bemäntelt der Kommandant des U-Boots, Otto Harms, den Fehlschlag mit einem Manöver der Dunera: Das Ziel habe sich nach dem Abschuss der Torpedos „um etwa 4 Dez. nach Stb. gedreht, daher 2 Fehlschüsse vorn vorbei“. Die U-56 habe sofort tiefer gehen müssen, so dass „keine Sehrohr-Beobachtung mehr möglich“ gewesen sei. Ins Kriegstagebuch der U-56 notiert Harms einen Fehlschuss und „nach 8m 13sec und 8m 33sec 2 Detonationen. Im Klang sind die Detonationen etwas heller als sonst beobachtete Torpedodetonationen, etwa wie Flugzeugbomben. Beide Detonationen sind von einem guthörbaren Prasseln begleitet.“ Harms bestätigt[15] Kriegstagebuch der U-56, Kapitän Harms, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr. Bundesarchiv RM 198/44. die Unversehrtheit der Dunera: „Dampferschraube querab an Stb. gut zu hören, Zerstörer läuft mit hoher Fahrt auf Boot zu, dreht dann aber anscheinend wieder ab und verschwindet.“ U-56 taucht dann auf „T-30“.

Erst am 16. Juli 1940 nimmt die deutsche Marineleitung den Vorgang Dunera unter „U-Bootlage“ ins Protokoll[16] Skl-Kriegstagebuch aao, Seiten 172, 184.: „U 56 meldet vor dem Nordkanal mehrere Fehlschüsse bzw. Versager auf Geleitzüge. Boot will am 19.7. in Lorient[17] Eín Stützpunkt der Nazi-Marine an der französischen Westküste, südlich von Brest. einlaufen.“

U-56 bei der Ausfahrt.

Harms und seine Vorgesetzten bringen sich hier in Widersprüche:

  • Dass U-56 am 12. Juli 1940 „Geleitzüge“ angegriffen hätte, entspricht nicht den Tatsachen.
  • Dass die Dunera abdrehte, wodurch ein Torpedo fehl ging, widerspricht den Zeugen an Bord, die von zwei Torpedokontakten an der Hülle des Schiffes berichten, ohne dass eine Explosion erfolgte.
  • Harms notiert, dass die Schraube der Dunera weiterhin gut hörbar war. Er weiß also, dass er nicht ernsthaft getroffen hat.

57 Tage nach Australien – ohne jede Assistenz der Nazi-Marine

Die Dunera setzt sofort ihre Reise westlich von Irland nach Süden fort. U-56 verbleibt hingegen im Gebiet nahe der Nordspitze Irlands, bevor die Rückfahrt[18] Skl-Kriegstagebuch aao, Seite 197. zum Stützpunkt Lorient angetreten wird. Im eigenen Kriegstagebuch notiert Harms[19] Kriegstagebuch U-56 aao. Eintrag vom 16.7.1940, 16.00 Uhr. am 16. Juli 1940 um 16 Uhr: „Marsch nach Lorient angetreten“. Allein aus diesem Grund ist die Behauptung zurückzuweisen, U-56 hätte die Dunera auf einem Teil der Reise nach Süden (oder gar bis vor Australien) begleitet. Das Eintreffen von U-56 im Stützpunkt Lorient wird zwar vom Plantermin 19. Juli 1940 um zwei Tage verschoben. Harms notiert am 21. Juli 1940[20] Ebenda, Eintrag vom 21.7.1940, 9.43 Uhr. um 9.43 Uhr „Im Hafen festgemacht.“ Skl bestätigt[21] Skl-Kriegstagebuch aao, Seite 246.: „In Lorient: laufen nach erfolgreicher Operation ein: U 52 (…), U 99 (…) und U 56.“

Gegen eine angebliche Begleitung durch U-56 spricht eine weitere Überlegung: Die Dunera erreicht am 24. Juli ihren ersten Zwischenstopp im Hafen von Freetown, Sierra Leone[22] Vgl. Logbuch der Dunera, Juli 1940.. U-56 hätte eine theoretische Begleitung also vor dem 21. Juli oder vorher in Höhe von Lorient beenden müssen. Der Seeweg von dort bis Freetown beträgt rund 2.800 Seemeilen[23] Vgl. Seedistanz-Rechner, abgerufen am 8.7.2023.. Für diese Strecke hätte die Dunera mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von 16,13 Knoten (etwa 30 km/h) mindestens 7 Tage bei vollem Tempo gebraucht. Dass das überladene Gefangenenschiff diese Strecke in den drei Tagen zwischen dem 21. und 24. Juli absolviert haben soll, ist absolut unmöglich. Dies wird dadurch untermauert, weil die Dunera aus Furcht vor Torpedos einen Zickzackkurs fuhr, was die Reisezeit erheblich verlängert.

Weiterhin bekannt ist, dass die Internierten unter Deck getrieben werden, nachdem Besatzung und Wachoffiziere den Fehlschlag des Angriffs feststellen und sich die Situation an Deck beruhigt. Die Bullaugen der unteren Decks sind mit Metallklappen verschlossen. Die dort untergebrachten Internierten können das Geschehen auf See also gar nicht selbst beobachten und darüber nur mutmaßen.

Keine Legende: „Torpedokrise“ und „Holzgewehr“

An dieser Stelle ist auf einen weiteren historischen Umstand hinzuweisen, der in bisherigen Betrachtungen (soweit bekannt) kaum berücksichtigt ist. Die beiden Fehlschüsse auf die Dunera sind auch vor militärtechnischem Hintergrund zu sehen.

Auf die Dunera lässt Harms Torpedos vom Typ G7e[24] Vgl. Schussmeldung aao. (Seriennummern 3421 und 3185) schießen. Kurz darauf passiert ihm Ähnliches[25] Kriegstagebuch U-56 aao. Einträge vom 14.7.1940, 0.04 Uhr ff.: Am 14. Juli 1940 lässt er kurz nach Mitternacht einen G7a-Torpedo auf einen „großen Passagierdampfer“ feuern. „Nach 12m 01sec sehr starke Detonation. Horchgeräusche von Dampfer verschwinden.“ Nach dem Auftauchen notiert Harms um 0.42 Uhr jedoch „keine Beobachtung gemacht.“ Mit deutlicher Verzweiflung schreibt er: „Die Laufzeit des Torpedos ist viel zu lang gewesen. Es erscheint aber andererseits unwahrscheinlich, daß ausgerechnet auf U 56 alle Torpedos am Ende der Laufstrecke hochgehen, obwohl dieser Fehler angeblich behoben sein soll.“

Tatsächlich ist der von Harms erwähnte Fehler nicht behoben. Bereits während der ersten Feindfahrten im September 1939 detoniert eine größere Zahl von Torpedos der Typen G7a und G7e vor dem Ziel oder am Ende der Reichweite bzw. schlägt am Rumpf des Zieles an, ohne zu detonieren. Bekannt wird das als „Torpedo-Krise[26] Wikipedia über die Torpedokrise, abgerufen am 10.7.2023.“: 1939 versagen 31 von 181 und 1940 funktionieren 155 von 898 abgefeuerten Torpedos nicht, stellt die Zeitschrift „Militärgeschichte“ fest. Die Versagerquote[27] Heinrich Schütz „Die Torpedo-Krise im Zweiten Weltkrieg“. In „Militärgeschichte“ Nr. 1/2009, Seite 12f. Hrg.: Militärgeschichtliches Bundesamt der Bundeswehr. liegt also bei jeweils 17,0 Prozent. Das Reichskriegsgericht[28] Heinrich Schütz aao, Seite 14. konstatiert 1941 erhebliche Mängel bei Erprobung, Testauswertungen und Fehlerbeseitigung der beiden Torpedotypen.

Schon im Oktober 1939 hatte der damalige Kommandant der U-56 Kapitänleutnant Wilhelm Zahn[29] Heinrich Schütz aao, Seite 13. die einmalige Chance verpasst, das britische Schlachtschiff HMS Nelson zu versenken. Er lässt drei Torpedos schießen. „Aber es erfolgte keine Detonation. Alles, was man an Bord des U-Bootes hören konnte, war der metallische Aufschlag der Torpedos auf dem stählernen Schiffsrumpf.“ Sein Nachfolger Harms meldet auch von der auf den Dunera-Fehlschlag folgenden Fahrt von U-56[30] Skl-Kriegstagebuch aao, Blatt 313. „mehrere Fehlschüsse, kein Versenkungserfolg“.

In der Mitte wird hier ein Torpedo des gegen die Dunera verwendeten Typs G7e gezeigt.
Foto: Alexander Buschorn, Kriegs- und Widerstandskämpfermuseum der Niederlande (Overloon).

1939 und 1940 hatten die U-Boote der Nazi-Marine eine Schussfehler-Quote von 17 Prozent. Quelle:  „Militärgeschichte“ Nr. 1/2009.

Durch einen ähnlichen Vorfall sieht sich sogar die Nazi-Ikone Prien getroffen. Er habe dem Marinechef Dönitz übermittelt, man solle ihm nicht noch einmal zumuten, „mit einem Holzgewehr[31] Michael Thomae: „Die U-Boot-Waffe im ‚Unternehmen Weserübung‘ 1940“, Militärgeschichte 1/2009, S. 14. zu kämpfen“.

Von Fakten und kolportierten Unwahrheiten

Dass die Internierten auf der Dunera den Torpedo-Fehlschlag nach erstem Schrecken befreit zur Kenntnis nahmen, leuchtet ein. Ebenso nachvollziehbar ist, dass die Internierten sich Ideen zurechtbastelten, wie dieses Glück geschehen konnte. Einige sprechen von einem göttlichen Eingriff. Politisch Verfolgte mutmaßten um eine Sabotage von Widerständlern in den Torpedofabriken, was in den Quellen aber deutlich eher als Hoffnung denn als Tatsache dargestellt wird.

Begünstigt werden Irrtümer jeglicher Provenienz, weil Erinnerungen oft trügen, wenn Details mit langem Abstand reflektiert werden. Zum Beispiel datieren einige Dunera-Boys den Torpedo-Angriff[32] Richard Sonnenfeldt „Mehr als ein Leben“, S. Fischer, Frankfurt 2005, Seite 99. auf den zweiten, andere auf den dritten Tag der Reise bzw. irren bei der Verortung. „Am dritten Abend, wir befanden uns gerade in der Biskaya …“ Das erscheint allein wegen der von Liverpool aus zurückzulegenden Distanzen und der ohnehin nachweislich falschen Tageszeit als einer der Streiche, wie ihn das Gedächtnis oft spielt. Passieren kann das auch, wenn man selbst nichts sehen kann, weil man nicht an Deck darf und die Bullaugen durch Deckel verschlossen sind. Mit Verständnis kann man mit derartigen Irrtümern umgehen. Kritisch wird es jedoch, sobald es um gezielte Unwahrheiten geht, die durch Kolportage zu Tatsachen erhoben werden.

Verladung eines Torpedos auf ein U-Boot in Wilhelmshaven, wahrscheinlich im Dezember 1939. Quelle: Bundesarchiv Nr. 101II-MW-5536-01.

Nicht nur der US-Historiker Daniel R. Schwartz[33] Daniel R. Schwartz „A submarine, some suitcases, and Salvation: On increasingly inaccessible testimony and the perfection of the Dunera miracle story“ in Australian Jewish Historical Society Journal 24, 4(2020), S 722-773. stellt fest, dass der Roman „SOS: Rettet unsere Seelen[34] „SOS: Rettet unsere Seelen“ von S. Ch. Clerque, erschienen 1953 im Erich Arndt Verlag Hagen in Westfalen.“ von S. Ch. Clerque eine wesentliche Quelle der Legende von dem deutschen U-Boot ist, das die Dunera begleitet habe, um die gefangenen Landsleute an Bord vor den Torpedos anderer deutscher U-Boote zu schützen.

Clerque streitet zwar jede Ähnlichkeit seiner Charaktere mit realen Personen ab. Er behauptet[35] Clerque aaao Seite 6. aber – und das ist hier entscheidend –, seine Story „anhand von Aufzeichnungen eines im letzten Weltkrieg in England internierten Deutschen nacherzählt“ zu haben. So wird den 319 Seiten Authentizität untergejubelt. Im Gegensatz zu dieser Selbstaussage erweist sich das Buch jedoch als Gaukelei schlimmster Art.

Abgetaucht und aufgefischt

Clerque schickt seiner Version des Torpedo-Angriffs zu Beginn einen weiteren (literarisch eigentlich) unnötigen historischen Schwindel voraus. Im Kapitel 33[36] Clerque aaao Seite 281. schreibt er: „Ohne Zwischenfall erreicht die Dunera die Höhe von Nigeria …“. Dort verortet der Autor den Torpedo-Angriff.

Tatsache ist, dass der Angriff auf die Dunera am zweiten Reisetag und nahe der westlichen Ausfahrt des Nordkanals, also im Meeresgebiet um die Nordspitze von Nordirland, erfolgt. Warum werden Ort und Zeit des Angriffs nach Afrika verlegt? Will Clerque etwa eine deutsche Seehoheit vor der Westküste Afrikas unterstellen? Will er den Ruhm der Nazi-Marine nachträglich mehren?

Die Torpedo-Legende wird aufgebaut

Im Kapitel 35[37] Clerque aao, Seite 297ff. lässt Clerque den U-Boot Kapitän nach dem Auftauchen erschüttert feststellen, dass die versenkt geglaubte Dunera fährt! Und er sieht merkwürdige Gegenstände herumschwimmen, die als Koffer identifiziert werden. „Immer noch fliegen Gegenstände von Bord, fast alle von gleicher Größe.“ Nun lässt Clerque einen der Offiziere seinen Kommandanten agitieren: „Wir können doch nicht tatenlos zuschauen, wenn das stimmt, daß der Kahn ein Interniertenschiff ist“. Ein Schlauchboot wird am Abend ausgesetzt, Koffer werden geborgen, aufgebrochen und erstaunlich trockene Briefe in deutscher Sprache gefunden.

Tatsache ist, dass kurz nach dem Angriff unerwartet ein britischer Zerstörer[38] Vgl. Wilczynski aao, Seite 73/74, Semaphore nach Bartrop/Eisen aao, Seiten 195/196. als Begleitung eines Kindertransports auf der Bildfläche erschien und die Dunera kurze Zeit auf einem kurzen gemeinsamen Wegstück begleitet. U-56 sucht also aus gutem Grund das Weite und taucht ab[39] Kriegstagebuch der U-56, aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr..

Im Weiteren spekuliert der Buch-Kapitän munter drauf los: „Es hat an Bord (der Dunera, pd) eine Panik gegeben – vielleicht ein Handgemenge zwischen Besatzung und Internierten, die sich wie jene retten wollten. Die Besatzung hat sich an den mit Recht empörten Deutschen rächen wollen, hält sie eingesperrt und hat nun in blinder Wut ihr Gepäck über Bord befördert. Vielleicht hat sie noch Schlimmeres getan, wer weiß es[40] Clerque aao, Seite 301. …“ Was wäre sonst von den „Indern mit flackernden Augen[41] Clerque aao, Seite 297ff. Soweit bekannt gehörten Inder zur Besatzung der HMT Dunera, nicht jedoch zur Wachmannschaft. in den dunklen Gesichtern“ zu erwarten, aus denen Clerque die Zusammensetzung der Wachmannschaften in rassistischer Weise erfindet?

Tatsache ist, dass die 309 Wachmannschaften und ihre sieben Offiziere dem Auxiliary Military Pioneer Corps[42] Wikipedia über die Dunera, aao. der britischen Armee angehörten.
Tatsache ist, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Torpedo-Attacke kein Gepäck über Bord geworfen wurde. Dafür gibt es keine Zeugenberichte. Auch kann das von U-56 aus nicht beobachtet worden sein, da sich das Boot unter Wasser vom Ort entfernte.
Tatsache ist außerdem, dass Clerque seiner eigenen Behauptung widerspricht, die Dunera habe ihre Fahrt fortgesetzt.

Interessanterweise denkt der literarische Heldenkapitän nicht eine Sekunde über seine Fehlschüsse nach. Stattdessen erklärt er: „Wir werden Geleitschutz gegen weitere Torpedierungen übernehmen …“ Es dürfe nicht zu einem weiteren Angriff Deutscher gegen Deutsche kommen. Er gibt einen Funkspruch[43] Clerque aao, Seite 302. an andere U-Boote durch und verhindere den Angriff eines anderen U-Bootes.

Tatsache ist, dass Harms auf U-56 nicht ohne Weiteres wissen konnte, was der Arandora Star eine Woche vorher widerfahren war. Erkenntnisse über die Dunera konnte Harms nur eingeschränkt weitergeben. Die U-Boote vermieden den Funkverkehr untereinander, weil dadurch ihre Positionen angepeilt werden konnten. Getauchte Schiffe konnten nur eingeschränkt senden und empfangen. Und: Warum wurden nicht auch Überwasserschiffe der Nazimarine vor Angriffen auf die Dunera gewarnt?
Tatsache ist, dass sich U-56 noch tagelang im Seegebiet nördlich von Irland bzw. nahe dem Nordkanal aufgehalten hat, was das Schiffstagebuch[44] Kriegstagebuch der U-56 aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr. der U-56 und das Tagebuch der deutschen Seekriegsleitung[45] Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (Skl), aao. bestätigen. Die nicht relevant beschädigte Dunera setzte hingegen ihre Fahrt fort.
Tatsache ist, dass der Angriff am Vormittag des 2. Juli erfolgte. Dass U-56 nachts zum Ort des Geschehens zurückkehrte, dort auftauchte und die Dunera dort vorgefunden haben soll, ist pure Fantasie des Romanerfinders. Infolgedessen konnte die „reale“ U-Bootmannschaft weder herabspringende Personen noch auf der See schwimmende Koffer beobachten.
Blanker Unsinn ist, dass sich Koffer – wie Clerque behauptet – noch Stunden nach dem Angriff am Ort des Geschehens, gegen jede Strömung und den gesunden Menschenverstand, auf der Wasseroberfläche gehalten haben könnten. Dass Gegenstände darin – insbesondere Papiere – trocken geblieben sein sollen, widerspricht ebenfalls jeglicher Erfahrung.

Ein „Seeheld“ ist abwesend

„Erst unter dem Schutz des deutschen Schiffes U 81[46] Die von Clerque gewählte Bootsnummer U 81 ist, wie alles andere, reine Fantasie. Die „echte“ U 81 wurde erst am 26.4.1941 in Dienst gestellt. Vgl. Wikipedia, abgefragt am 2.9.2023. erreicht der Engländer ungefährdet die freien Gewässer“, schließt Clerque seine Ode auf die Ritterlichkeit[47] Clerque aao, Seite 301/302. deutscher Seeleute ab. Übrigens: Der Chef der U-Bootflotte Karl Dönitz (1889 – 1980), später Hitler-Nachfolger und als Kriegsverbrecher verurteilt, verbot den U-Bootbesatzungen am 17. September 1942, Angehörige versenkter Schiffe[48] Vgl. wikipedia über Dönitz, und seinen „Laconia-Befehl“, abgerufen am 10.9.2023. zu bergen oder ihnen Nahrungsmittel oder Wasser zu geben. „Rettung widerspricht den primitivsten Forderungen der Kriegführung.“

In dem Zusammenhang fällt eine gegensätzliche Einschätzung von Jochen Brennecke (1913 – 1997) auf. Der Chronist der Nazi-Marine[49] Jochen Brennecke, „Jäger, Gejagte. Deutsche U-Boote 1939-1945“, Koehlers Verlagsgesellschaft, Herford 1956. Hier 8. Auflage, Hamburg 2000, Seite 80. seit der Nazizeit formuliert in seiner „Chronik des U-Bootkrieges“ über die Situation im Jahr 1940: „Der Krieg auf See ist total geworden“. Er stellt „freie Gewässer“ gänzlich in Frage. Dass er Goebbels[50] Nazi-Propagandamister Joseph Goebbels hielt seine Rede zum „Totalen Krieg“ erst am 18.2.1943. „totalen Krieg“ von 1943 in ideologischem Gehorsam auf 1940 vorzieht, ist interessant festzustellen.

Im Anschluss an die Darstellung der Episode wechselt Clerque den Schauplatz. „Wenn unsere Koffer dazu dienen, unser aller Sicherheit zu gewährleisten, so verzichten wir gerne darauf“, darf nun ein Internierter unter Beifall seiner Kameraden den flackeräugigen indischen Bewachern danken. Was für ritterliche Gutmenschen[51] Clerque aao, Seite 305., diese Deutschen!

Während Clerque die Dunera-Angreifer als aufrechte Soldaten und ehrenwerte Helden aufbaut, geht er im Falle der Arandora Star übrigens ganz anders vor. Er beschränkt sich auf die Bemerkung: „Es hat wirklich eingeschlagen – ein Torpedotreffer[52] Clerque aao, Seite 129..“ Dass der von den Nazis zum Seehelden aufgeblasene Kapitänleutnant Günther Prien für den Abschuss der Arandora Star verantwortlich ist, wird dem Leser des „authentischen“ Buches um die „Tragödie[53] Clerque aao, Seite 6.“ dieses Schiffes verschwiegen. Clerque spart den Konflikt und erfindet nicht einmal ein „literarisches“ U-Boot. Das nationalsozialistische Ruhmesblatt des Kapitänleutnants Prien und seiner U-47 darf 1953 durch das „SOS“-Buch unter keinen Umständen beschmutzt werden!

Nazi-Lügen Baujahr 1953

Wenn es aber nur um (Nicht-) Ereignisse ginge, könnte man das Buch vielleicht als „schlecht“ abtun. Es geht aber eben nicht nur um diesen Teil des Romans. Clerque verbiegt grundlegende historische Fakten[54] Clerque aao. Seite 7. in nicht tolerabler Weise. Gleich auf der ersten Seite schreibt er: „England stellt ein Ultimatum … und dann erklärt es den Krieg an Deutschland“. Damit wird unterstellt, die Briten hätten den 2. Weltkrieg begonnen.

Tatsache ist, dass das Hitler-Reich am 1. September 1939 mit der „Gleiwitz“-Propagandalüge[55] Hitler benutzte als Anlass für den Beginn des 2. Weltkrieges einen angeblichen polnischen Angriff auf den Sender Gleiwitz, der jedoch von SS in polnischen Uniformen verübt wurde, um einen Kriegsgrund zu provozieren. und dem Einmarsch in Polen den Weltkrieg begonnen hat. Das britische Ultimatum war die Reaktion darauf.

Durch diese falsche Darstellung historischer Umstände durch eine gezielte Auslassung rechtfertigt Clerque den Krieg und begibt sich in ideologische Gefolgschaft der Nazipropaganda.

Für eine(n) Autor(in) namens Clerque sind nur zwei Veröffentlichungen nachweisbar. Wahrscheinlich sind Sybille und Ch. S. Clerque Pseudonyme. Quellen: Repro.

Ein weiteres Beispiel sind falsche Zahlen, mit denen Clerque die Bedeutung „seiner“ deutschen Gruppe aufzubauschen versucht. Er behauptet, unter den 3.000 Gefangenen an Bord der Dunera hätten sich „auch tausend deutsche Emigranten[56] Clerque aao., Seite 267.“ befunden. Clerque unterstellt damit, dass die anderen 2.000 Mann Überlebende der Arandora Star und anständige Menschen sind – jedenfalls keine Leute, die zuvor die deutsche Heimat als Emigranten im Stich gelassen haben.

Tatsache ist: An Bord der Dunera befanden sich rund 2.500 Internierte, von denen mehr als 2.000 als Juden oder Hitlergegner von den Nazis verfolgt wurden und Deutschland bzw. Österreich verlassen mussten. An Bord waren auch 451 Überlebende der Arandora Star, darunter 200 Italiener und 251 Deutsche[57] „Nominal Roll“ der Dunera, National Archives of Australia (NAA), ID 657104, abgerufen am 30.8.2023. Viele Nummern der 251 Deutschen von der Arandora Star sind mit einem zusätzlichen „R“ für „Ringleader“ (Rädelsführer) versehen..
Tatsache ist:
In der Gruppe der 251 Deutschen sind mindestens 38 Juden und Nazigegner nachweisbar. Die meisten der weiteren 213 sind Seeleute der deutschen Handelsmarine, Passagiere ihrer Schiffe und Geschäftsleute, die in Großbritannien oder dessen Afrika-Kolonien interniert wurden.

Fremdworte im Vokabular und ein kommandierender Internierter

Das grob falsche Zahlenspiel Clerques dient dazu, seine Hauptpersonen „harmloser“ deutscher Handelsleute, die ungerechterweise von den Briten eingesperrt wurden, zur Masse der Dunera-Internierten hochzujubeln, um deren besondere Bedeutung herauszustellen. Über die mehrheitlichen Nazi-Opfer auf dem Schiff verliert Clerque kein Wort. Begriffe wie „Jude“, „Nazigegner“, „Italiener“, „Weltkrieg“ usw. kommen im gesamten Buch in völliger Ignorierung der Tatsachen überhaupt nicht vor.

Eine weitere Bemerkung, mit der Clerque seine zentrale Figur zum Vorbild aufbaut, zeigt ähnliche Fantasie, um die Bedeutung der Figur und seiner Klientel zu betonen: Das ist Alexander Merten, von den Briten weggefangener ehrenwerter deutscher Handelsmann. „Am anderen Morgen wählen die 3000 Internierten der Dunera Alexander Merten zu ihrem Kommandanten[58] Clerque aao, Seite 269.“.

Tatsache ist: Auf der Dunera wurden Vertreter für die einzelnen Decks („deckleader“) gewählt. Einen Vertreter für alle Interniertengruppen oder gar einen „Kommandanten“ gab es nicht. Warum auch hätten Juden und Nazis gemeinsame Vertreter wählen sollen? Sobald die deckleader gegenüber den Wachoffizieren aktiv wurden und sich z.B. über Mängel und Diebstähle beschwerten, wurden sie bedroht.
Tatsache ist, dass die Nazis in Australien unter den „Camp Leadern“ (nicht: „Kommandanten“) keineswegs die Interessen aller Internierten vertreten haben. Der australische Geheimdienst beschreibt einen Dr. Haslinger[59] NAA-Akte Haslinger, NAA_ItemNumber428433, Blatt 11., „Camp Leader“ im Lager Tatura 1, als Nazi, der seine Aufgabe „eher als Geschäftsträger der NSDAP denn als unabhängiger Repräsentant“ aller Insassen praktizierte. Haslinger erteilte dem Parteigefolge u.a. Weisungen zur „Aufrechterhaltung der Disziplin und zum Schutz des Deutschen Nationalsozialistischen Geistes inner- und außerhalb des Lagers“. Der Bericht stellt fest, dass die Partei die Campleitungen der Lager Nr. 1 und Nr. 3 „komplett kontrolliert“.

Der von Clerque benutzte militärische Begriff „Kommandant“ zeigt zudem, dass der Autor den demokratischen Prinzipien wohl nicht allzu nahe steht, die sich die Gemeinschaft der Internierungslager gegeben hatte. Er kann sich wohl nur militärische Befehlsstrukturen vorstellen. Das widerspricht der eigenen Behauptung, alle „3000“ Internierten seien Zivilisten. Der Roman-Zivilist Merten „kommandiert“ die Internierten übrigens vom britischen Internierungslager über die Arandora Star und die Dunera bis ins Lager im australischen Tatura.

Blackout im Outback

Am Schluss von Kapitel 36[60] Clerque aao, Seite 307f. wird das clerquesche Lügengebäude mit der Behauptung fortgesetzt, alle Internierten wurden in Melbourne ausgeschifft.

Tatsache ist, dass die 450 Überlebenden[61] Der Nazi-Diplomat Kittel war in Kapstadt von Bord geholt worden. der Arandora Star und (um die Kapazität des Lagers zu füllen) weitere etwa 100 internierte Juden und Nazigegner in Melbourne von Bord gingen und ins Lager Tatura gebracht wurden. Die Vertreter der zweiten Gruppe – und etliche aus der ersten – verwahrten sich gegenüber den Bewachern heftig dagegen, den Nazis in einem gemeinsamen „Compound“ ausgeliefert zu sein.
Tatsache ist, dass die anderen etwa 2.000 Internierten erst Tage später in Sydney an Land gingen, um sofort in das Lager Hay[62] „Nominal Roll“ der Dunera, National Archives of Australia (NAA), ID 657104. geschafft zu werden.

Die zitierte Behauptung Clerques bestätigt, dass er sich nur für „anständige“ Deutsche interessiert. Mit Juden und Nazigegnern will er nichts gemein haben. Auch dahinter steckt nichts anderes als braune Ideologie. Wes‘ Geistes Kind Clerque seinen „kommandierenden“ Zivilinternierten sein lässt, zeigt das im australischen Lager Tatura angesiedelte letzte Kapitel[63] Clerque aao, Seite 312f.. Da sucht ein Internierter den Buchhelden auf, denn „er hat gehört, daß Merten einen Boy sucht, der seinen Bungalow in Ordnung hält“. Herr „Kommandant“ bewohnen einen eigenen „Bungalow“ und halten sich einen Offiziersburschen[64] Clerque aao, Seite 315.!?

Tatsache ist, dass nach internationalem Recht kriegsgefangenen Offizieren im Vergleich zu „gemeinen“ Soldaten oder gar Internierten erhebliche Vergünstigungen zustehen. Abhängig vom Rang schließt das auch Diener ein. Zivilpersonen steht kein Personal zu.

Aus den Lagern der Internierten ist solches Edelinterniertentum folglich nicht bekannt. Aber vielleicht hatten die Obernazis ihre Laufburschen.

Ist diese „Putzfleck“-Geschichte ein „Betriebsunfall“ Clerques, womit er versehentlich andeutet, dass seine Heldentruppe eben doch keine Zivilinternierten, sondern Kriegsgefangene sind?

Tatsache ist: Die 250 Arandora Star-Überlebenden wurden 1940 von den Briten als „Internierte“ eingestuft. Mit dem offiziellen Ende der Internierungen wurde ihr Status am Stichtag 22. Juni 1942 auf Kriegsgefangene[65] Vgl. die digitalisierten Personalakten im NAA. geändert.

Clerque will schließlich auf eine Angeberei nicht verzichten, um zu zeigen, dass „seine“ Deutschen die Besten sind: Die australischen Wachoffiziere sind zu blöd und getrauen sich nicht, tragische Botschaften aus der Heimat weiterzuleiten. Weil sie diese Aufgabe nicht selbst erledigen wollen, holen sie „den deutschen Kommandanten[66] Clerque aao, Seite 317. zu Hilfe“.

Tatsache ist, dass die Internierten in den australischen Lagern eine weitgehende Selbstverwaltung etablieren konnten. Zu diesen Aufgaben gehörte auch die Verteilung der eingehenden Briefe und Postkarten.

Ganz abgesehen davon endet das Buch mit einem Blackout im Outback. Bleiben Merten, sein „Boy“ und die anderen „3000“ Kameraden bis auf alle Ewigkeit im australischen Lager? Ein Kriegsende und die Heimkehr der armen Deutschen sind in dem Buch nicht vorgesehen.

Schließlich ist noch eine Äußerung des Helden Merten zu bewerten, die Clerque ihm kurz nach der Torpedo-Attacke zuschreibt: Er halte nichts von „künstlich geschürter Feindschaft – weil sie ja doch alle persönlich diesen Krieg nie gewollt[67] Clerque aao, Seite 291. hatten!“ Hier kolportiert Clerque die Nachkriegs-Ausrede von der schweigenden Mehrheit der Deutschen: Keiner hat den Krieg gewollt oder mit ausgestrecktem rechten Arm „Hurra“, „Heil Hitler“ oder Ähnliches gebrüllt. Niemand hatte mit den Nazis etwas zu tun oder wusste etwas über ihre Verbrechen. Und wenn, geschah das selbstverständlich unter Zwang und gar nicht begeistert. Kein Deutscher ist also mit Schuld oder Verantwortung für die Verbrechen der Nazizeit zu belasten. Und der Krieg wurde auf überaus anständige und ehrenhafte Weise geführt. Auch Wehrmacht und Marine hatten schließlich nichts mit Hitler zu tun!

Genrewechsel: Groschenhefte, ihre Ideologie und Autoren

Der Versuch, die Identität des Schreibers S. Ch. Clerque aufzudecken, führt zu Recherchen über die bundesrepublikanische Weltkriegsliteratur der 1950er Jahre. Hier scheinen zunächst Bemerkungen über die Groschenheft-Serien sinnvoll. Wie der Name andeutet handelt es sich um kostengünstigen Lesestoff, der seit den 1950er Jahren wöchentlich oder vierzehntäglich erscheint und im Zeitungs- und Tabakhandel verkauft wird. Dem folgt ein zeitweise lebhafter Gebrauchthandel. Die billigen Liebesromane verbreiten ein höchst konservatives Rollenbild der Frauen. Die Militär-Trivialliteratur unterstellt durchweg eine „saubere“ und ehrenwerte Rolle von Wehrmacht und Marine, rechtfertigt und beschönigt den Weltkrieg. Heldenbilder werden mit abenteuerlich formulierten angeblichen Erlebnisgeschichten verbunden, um Authentizität vorzugaukeln. Der Begriff „Landserheft“ wurde zum Synonym der gesamten kriegsverherrlichenden Trivialliteratur[68] Wikipedia verweist zu „Der Landser“ u.a. auf ideologiekritische Aspekte, abgerufen am 25.6.2023.. Der Historiker Ernst Antoni bezeichnet den „Landser“ zudem als „Einstiegsdroge in die Neonazi-Szene[69] Ernst Antoni in Dirk Wilking „Der Landser“ – Wie ein Mann ein Mann wird, S. 61ff.“.

Das betrifft auch das „Landser“- Spinoff „SOS – Schicksale deutscher Schiffe“, mit 200 Folgen und etlichen Sonderausgaben von 1975 bis 1981 im Pabel-Verlag (später Pabel-Moewig Verlag) erschienen. Deren Hauptautoren und Herausgeber Fritz-Otto Busch und Otto Mielke profilieren sich schon während des 3. Reiches mit staatstragender nationalsozialistischer Seekriegsverherrlichung. Einer der Vielschreiber (42 Titel unter dem Pseudonym Jens Janssen) ist der bereits kurz erwähnte Jochen Brennecke[70] Wikipedia über Jochen Brennecke, abgerufen am 25.6.2023. (1913 – 1997). Er ist zwischen 1940 und 1943 als Kriegsberichterstatter für die Marine tätig und verfasst u.a. 1942 ein Buch über die 1939 selbstversenkte Graf Spee. Sein Nachkriegs-Werk „Jäger – Gejagte – Deutsche U-Boote 1939-1945“ wirft keinen Schatten auf die U-Bootfahrer der Nazis. Die Vorgänge Arandora Star und Dunera ignoriert er komplett. Für sein Resumee der Leistung der U-Bootwaffe beruft er sich ausgerechnet auf den in Nürnberg als Kriegsverbrecher zu zehn Jahren Haft verurteilten Karl Dönitz. Der Marinechef und Führer-Nachfolger wirft sich in die Brust: „Die deutsche Seekriegsführung steht vor der Geschichte makellos[71] Brennecke aao., Seite 454. Brennecke zitiert ohne die erforderliche Nennung des 6. Oktober 1946, wie er generell auf jegliche Quellennennung verzichtet. da.“

„SOS: Rettet unsere Seelen“ liegt im ideologischen Trend der Trivial-Kriegsliteratur und der mangelnden Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Historische Grundlagen werden verfälscht. Klischees und ideologische Konzepte der kriegsverherrlichenden Militär-Groschenhefte wandern, wie auch Rassismus, vom Groschenheft ins Hardcover. Clerques Buch ist Teil eines restaurativen Trends, der die Nazis weg- und die Rolle des Militärs und den Krieg schönschreibt und damit in den 1950er und 1960er Jahren den Kalten Krieg gegen den Osten ideologisch befördert.

Der Autor – gezielt verdunkelt?

Das 1953 erschienene Clerque-Buch ist – soweit heute recherchierbar – die einzige Buchveröffentlichung im Erich Arndt Verlag Hagen[72] Gegründet als Nordwestdeutsche Presse- u. Buchvertrieb GmbH., später Erich Arndt Verlag, Hagen; danach Umzug nach Karlsruhe. Zuletzt: Angelika Arndt Verlag, Feucht.. Nachauflagen sind nicht bekannt. Dieser Verlag publizierte ausschließlich Groschenheft-Reihen wie „Der blaue Roman“, „Kronen-Roman“, „Inspektor K greift ein“ oder „Lilien-Roman: Der Roman für frohe Stunden“. „Sybille Clerque“ ist als Autorenschaft nur noch ein einziges Mal nachweisbar: Mit dem Namen wird Band 6 der Reihe „Sabrina – der moderne Roman[73] Vgl. u.a. Romanheftarchiv, abgerufen am 25.6.2023.“, erschienen 1959, gezeichnet. Diese Reihe erscheint 1959 bis 1961 im Moewig-Verlag, herausgegeben von Erich Arndt, dem Verleger des „SOS“-Buches.

Prien: Ein „Held“ im Nachkriegs-Kriegsfilm

Die Groschenheft-Reihe „Soldatengeschichten und Fliegergeschichten“ erschien von 1957 bis 1964 vierzehntäglich ebenfalls im Hause Moewig. Wikipedia vermerkt: Wie ‚Der Landser‘ waren die ‚Soldatengeschichten‘ indirekt eine Fortschreibung älterer deutscher Heftromanserien wie ‚Unter deutscher Flagge oder die ‚Kriegsbücherei der deutschen Jugend[74] Vgl. Wikipedia über „Soldatengeschichten aus aller Welt“ und Folgetitel, abgefragt am 25.10.2023.‘“. Hinter dem Begriff „älterer“ wird hier schamhaft zu verbergen versucht, dass es sich um Nazi-Propagandaliteratur handelt.

Im Heft Nr. 171 „U47“ verbreitet sich ein Udo Wolter über Günther Prien. Der Name Udo Wolter wird auch im Vorspann des Films[75] Vgl. Wikipedia über „U 47 Kapitänleutnant Prien“, abgefragt am 25.10.2023. „U 47 Kapitänleutnant Prien“ als Lieferant des Stoffes für das Drehbuch genannt. Die Musik steuerte Norbert Schulze bei, der sich während der Nazizeit mit „Lili Marleen“, Militärmusik und dem Score für den Durchhaltefilm „Kolberg“ verdient gemacht hatte.

Noch lange nach Kriegsende wurde Günter Prien in der Bundesrepublik als Seeheld aufgebaut.

Wie Clerques „SOS …“ unterstellt auch dieser Film schon im ersten Satz und im Goebbelsmodus, dass Großbritannien den Weltkrieg am 3. September 1939 begonnen hätte. Im Film teilt Prien mit, ein Soldat habe sich aus der Politik herauszuhalten. Vielsagend ist ein Dialogausschnitt zu einer Original-Goebbelsrede im Radio: „Da spricht ja der Goebbels.“ – „Ach, den höre ich gern.“ Wolter & Co bauen Prien am Schluss gar zum Nazigegner auf; die Gestapo habe ihn im Auge gehabt, weil er (wenn auch spät) einem oppositionellen Pfarrer geholfen hätte. Zu allem Überfluss schließt der Film mit der historischen Lüge, Prien sei von britischen Seeleuten nach der Versenkung der U 47 gerettet worden. Er sei aber durch einen deutschen U-Bootangriff auf seine Retter ums Leben gekommen.

Die katholische Filmkritik[76] „Lexikon des internationalen Films“, Band 8, Seite 3917. damals: „Modische und unaufrichtige Kinomischung aus teutonischem Seeheldentum, aufgesetzter Widerstandshaltung und gefühlsbetonter Antikriegsallüre.“ Von der Arca-Filmproduktion stammt übrigens auch ein Zusammenschnitt von Nazi-Wochenschauen „So war der deutsche Landser“: Den ließ die Freiwillige Selbstkontrolle[77] Die FSK, wurde 1949 gegründet, um statt der in der Bundesrepublik die verbotenen Filmzensur eine Einrichtung der Branche "für den Jugendschutz" zu etablieren. (FSK) wegen „militaristischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Tendenzen“ umschneiden.

Pseudonym zur Verschleierung

Groschenhefte wurden vielfach mit Autoren- Pseudonymen ausgestattet. So will man z.B. Liebesgeschichten mit französisch oder italienisch klingenden Namen aufwerten, gelegentlich werden Schreiber als „Autorinnen“ ausgeben. Manchem Autoren mag das Groschenheft-Honorar näher gewesen sein, als durch diese Trivialliteratur bekannt zu werden und damit anderswo erworbenen schriftstellerischen Ruhm zu beschädigen.

Der US-Historiker Daniel R. Schwartz verlängert den Autorennamen spekulativ als Sybille Charlotte Clerque[78] Daniel R. Schwartz aao., Seiten 722-773.. Tatsächlich gibt es zu keiner Variante dieses Namens weitere Fundstellen. Auch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek[79] Vgl. DNB-Katalog, abgefragt am 30.6.2023. (DNB), wohin seit 1913 Pflichtexemplare[80] Deutsche Nationalbibliothek über Pflichtexemplare, abgerufen am 10.9.2023. jeder gedruckten Veröffentlichung und von Bild- und Tonwerken zu liefern sind, werden nur die beiden genannten Titel gelistet.

Der Eindruck entsteht, dass die Autorenbezeichnung Sybille Charlotte Clerque aus einem Pool von Pseudonymen des Arndt-Verlages stammen könnte. Deutlich wird aber, dass die Autorenschaft von „SOS: Rettet unsere Seelen“ aus inhaltlichen Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Autorenszene von „Landser“, „SOS“ usw. verortet werden kann, unter denen sich keine Frau[81] Wikipedia über „SOS – Schicksale deutscher Schiffe“, abgerufen am 10.9.2023. befand. Das stellt auch Schwartz nach Sichtung von Arndt-Dokumenten[82] Schwartz aao. Seite 752, beruft sich auf ein Schreiben von Arndt an den führenden SPD-Politiker Erich Ollenhauer. fest.

Ein Sachbuch zum U-Bootkrieg ohne jede Quelle

Diese Nachbarschaft ist offenkundig. So kommt z.B. Brennecke auf 500 Seiten seines erwähnten Sachbuches über die U-Bootwaffe der Nazis ohne eine einzige Quellenangabe seiner vielen Zitate und Daten aus. Dennoch behauptet der Rücktiteltext, das Buch stelle „durch seine Originalberichte“ „einen bedeutenden dokumentarischen Wert“ dar. Das entspricht der Diktion der Groschenhefte.

Brennecke pflegt zudem einen pseudoliterarischen romanähnlichen Schreibstil, um den „tragischheldenhaften Einsatz[83] Brennecke aao, Seite 5. der U-Bootbesatzungen“ zu schildern, der einem „erschütternden Opfergang ohne Beispiel“ gleichkomme. Wie man mittels flotter Schreiberei über das Fehlen von Authentizität hinwegtäuscht, demontriert Brennecke als „Jens Janssen“ in seinen Groschenheften.

Clerques „SOS. Rettet unsere Seelen“ und Brenneckes „Jäger, Gejagte. Deutsche U-Boote 1939-1945“ sowie die Kriegs-Groschenhefte weisen ein hohes Maß an Übereinstimmungen auf. Das betrifft den an der Abenteuerliteratur orientierten Schreibstil und die systemische Vortäuschung historischer Authentizität bis hin zur groben Geschichtsfälschung, die Abtrennung der beschriebenen Themen vom Zusammenhang mit dem von den Nazis begonnen Weltkrieg, einem unterschwelligen Rassismus und die Verharmlosung des Krieges, das Schönreden eines deutschen Soldatentums usw. Dennoch kann eine Identität von Clerque und Brennecke (oder anderen Gleichgesinnten) nicht nachgewiesen werden.

Fehlerhafte Quellen und „stille Post“

Daniel Schwartz geht nach Lektüre etlicher Erinnerungen von Dunera-Boys davon aus, dass Clerques Fake-Sammlung eine Fortschreibung quasi nach dem Prinzip des Kinderspiels „stille Post“ gefunden hat. Als ein Beispiel zitiert er den Dunera-Boy Bertold Irving Meier[84] Zit. nach Benzion Patkin „The Dunera Internees“, Stanmore NSW 1979, Seite 43f.: „S.C. Clerque, der Kommandant des deutschen U-Bootes, das die Torpedos auf die Dunera gefeuert hatte, veröffentlichte ein Buch mit dem Titel SOS: Rettat Unsere Seelen (‚SOS: Save Our Souls‘)“ (Fehler vom Original übernommen). Schwartz verweist auf die Kolportage der Clerque-Behauptungen durch Meier inklusive des nächtlichen Auftauchens, über Bord springender Menschen, usw. usf.

Von Meier übernahmen nicht nur der australische Sachbuchautor Benzion Patkin etliche Falschinformationen Clerques. Es scheint, dass selbst Zeitzeugen ihre Erinnerungslücken aus dieser Quelle gestopft haben. So setzt sich ein Selbstlauf der ungeprüften Übernahme der Clerque-Story leider bis ins 21. Jahrhundert fort. Beispielsweise zitiert Erika von Wietersheim in ihrem 2017 erschienenen Buch über ihren Vater Kurt Falk Clerque-Passagen[85] Erika von Wietersheim „Nur 24 Zeilen“, Hamburg 2017, Seite 97f. unter ausdrücklicher Nennung dieser Quelle.

Gottes Hand über der Dunera?

Besonders schlimm ist es, wenn jüdische Kreise den Clerque-Schwindel ungeprüft übernehmen. Dabei wurde die Fake-Geschichte bisweilen erweitert, in Zeiten des Internets online gestreut und von Abschreibern hin und her verlinkt, um Beweiskraft zu behaupten. Ein bedauerliches Beispiel dafür ist die noch vor Kurzem veröffentlichte bzw. wiederholte Erzählung von David Rosenthal, der sich u.a. auf ein Kriegstagebuch der U-56 beruft, welches er allerdings nicht gelesen haben kann. Der unter der Überschrift „Das Wunder der Dunera“ veröffentlichte Artikel gipfelt in dem Satz über die Internierten: „Das Trauma, dass ihre Habseligkeiten über Bord geworfen wurden, hatte ihnen das Leben gerettet.“ Damit macht er sich die falsche Darstellung[86] David Rosenthal bei LinkedIn: „The Miracle of the Dunera“ vom 26.4.2020, abgerufen am 24.9.2023; vgl. Clerque aao., S. 305. von Clerque zueigen.

Am Ende des Beitrages verweist Rosenthal auf einen zuvor in einer jüdischen US-Zeitung erschienenen Artikel von Ira Bauman[87] Ira Baumann „The Dunera Boys“, erschienen am 5.5.2016 in Jewish Link, abgerufen am 25.9.2023., von dem Rosenthal offensichtlich Teile seines Beitrages über die U-Bootlegende wörtlich „entlehnt“ hat, ohne Bauman als Quelle zu nennen. Der entsprechende Passus endet mit dem Satz: „Als die Geschichte publik wurde, erkannten die Überlebenden des Angriffs, das die Hand Gottes (Hand of Hashem) ihnen an dem Tag geholfen hat. Der üble Haufen der Besatzung ließ seinen Zorn an den armen Flüchtlingen aus, indem er einen Großteil ihrer Habseligkeiten über Bord warf. Doch ohne diese Tat wären 2000 Juden ums Leben gekommen.“ Damit und mit der Zwischenüberschrift „The Hand of Hashem“ wird dem nie Geschehenen gar eine religiöse Dimension verliehen.

Dunera-Boy Hans Marcus kommentierte bereits 1987 die clerquesche Torpedo-Legende[88] Hans Marcus, „The U-Boat Commander and the Dunera“ in „Dunera News“ Nr. 12, May/June 1987, S. 14.: „Es scheint, dass keiner von den Leuten, die von diesem Buch hörten, es jemals gesehen haben“, spielt er auf das Buch und die daraus entstandenen Kolportagen an. Er verweist u.a. auf die ihm von dem deutschen Marinehistoriker Jürgen Rohwer übermittelte und im Schiffstagebuch der U-56 bestätigte Information, wonach das Erscheinen eines Zerstörers[89] Kriegstagebuch der U-56 aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr. in unmittelbarer Nähe der Dunera Kapitän Otto Harms veranlasst hätte, Tauchbefehl für U-56 zu geben, um von dem nun bedrohlich gewordenen Schauplatz zu verschwinden – anstatt sich an Clerque zu halten und die Dunera bis sonstwohin zu begleiten, um sie vor den eigenen Kameraden zu schützen.

Zusammenfassend ist festzustellen: Bei dem Buch „SOS: Rettet unsere Seelen“ von S. Ch. Clerque handelt es sich um ein als Hardcover verkleidetes Groschenheft, das nationalistische und nationalsozialistische Ideologie und Rassismus kolportiert, historische Tatsachen verfälscht, in militaristischer Weise ein fragwürdiges Soldatentum beschönigt, Kriege und Nationalsozialismus verharmlost.

Fußnoten

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  • [1]Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (Skl) 1940, Seite 57.
  • [2]Jochen Brennecke, Interview mit Hans-Werner Kraus, Nachlass Brennecke im Bundesarchiv, N 852/32.
  • [3]Kriegstagebuch aao, Seite 99.
  • [4]Feindliche Ausländer.
  • [5]Vgl. u.a. Rainer Radok „Von Königsberg nach Melbourne“, Lüneburg 1998 und weitere Augenzeugenberichte.
  • [6]HMT = Hired Military Transporter – bei einer Reederei für die Marine angemietetes Schiff.
  • [7]Vgl. Wikipedia über die HMT Dunera, abgerufen am 25.7.2023.
  • [8]Peter und Leni Gilllman „‘Collar the Lot!‘ How Britain Interned And Expelled its Wartime Refugees“, London 1980, Seite 213.
  • [9]ebenda.
  • [10]Klaus Wilczynski, „Das Gefangenenschiff“, Berlin 2001, Seite 71.
  • [11]Semaphore (Pseudonym), „I came to Australia with 3000 Germans“ in „Sydney Sunday Telegraph“ 6. und 13. Oktober 1940, Auszüge aus dem Tagebuch eines Seemanns der Dunera. Zit. n. Paul R. Bartrop, Gabrielle Eisen „The Dunera Affair“, Melbourne 1990, Seite 193 ff.
  • [12]Wilczynski aao, Seite 72.
  • [13]Semaphore aao, Seite 196 und Wilczynski aao, Seite 73/74.
  • [14]Schussmeldung der U-56 vom 12.7.1940, Historisches Marinearchiv, abgerufen am 25.6.2023.
  • [15]Kriegstagebuch der U-56, Kapitän Harms, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr. Bundesarchiv RM 198/44.
  • [16]Skl-Kriegstagebuch aao, Seiten 172, 184.
  • [17]Eín Stützpunkt der Nazi-Marine an der französischen Westküste, südlich von Brest.
  • [18]Skl-Kriegstagebuch aao, Seite 197.
  • [19]Kriegstagebuch U-56 aao. Eintrag vom 16.7.1940, 16.00 Uhr.
  • [20]Ebenda, Eintrag vom 21.7.1940, 9.43 Uhr.
  • [21]Skl-Kriegstagebuch aao, Seite 246.
  • [22]Vgl. Logbuch der Dunera, Juli 1940.
  • [23]Vgl. Seedistanz-Rechner, abgerufen am 8.7.2023.
  • [24]Vgl. Schussmeldung aao.
  • [25]Kriegstagebuch U-56 aao. Einträge vom 14.7.1940, 0.04 Uhr ff.
  • [26]Wikipedia über die Torpedokrise, abgerufen am 10.7.2023.
  • [27]Heinrich Schütz „Die Torpedo-Krise im Zweiten Weltkrieg“. In „Militärgeschichte“ Nr. 1/2009, Seite 12f. Hrg.: Militärgeschichtliches Bundesamt der Bundeswehr.
  • [28]Heinrich Schütz aao, Seite 14.
  • [29]Heinrich Schütz aao, Seite 13.
  • [30]Skl-Kriegstagebuch aao, Blatt 313.
  • [31]Michael Thomae: „Die U-Boot-Waffe im ‚Unternehmen Weserübung‘ 1940“, Militärgeschichte 1/2009, S. 14.
  • [32]Richard Sonnenfeldt „Mehr als ein Leben“, S. Fischer, Frankfurt 2005, Seite 99.
  • [33]Daniel R. Schwartz „A submarine, some suitcases, and Salvation: On increasingly inaccessible testimony and the perfection of the Dunera miracle story“ in Australian Jewish Historical Society Journal 24, 4(2020), S 722-773.
  • [34]„SOS: Rettet unsere Seelen“ von S. Ch. Clerque, erschienen 1953 im Erich Arndt Verlag Hagen in Westfalen.
  • [35]Clerque aaao Seite 6.
  • [36]Clerque aaao Seite 281.
  • [37]Clerque aao, Seite 297ff.
  • [38]Vgl. Wilczynski aao, Seite 73/74, Semaphore nach Bartrop/Eisen aao, Seiten 195/196.
  • [39]Kriegstagebuch der U-56, aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr.
  • [40]Clerque aao, Seite 301.
  • [41]Clerque aao, Seite 297ff. Soweit bekannt gehörten Inder zur Besatzung der HMT Dunera, nicht jedoch zur Wachmannschaft.
  • [42]Wikipedia über die Dunera, aao.
  • [43]Clerque aao, Seite 302.
  • [44]Kriegstagebuch der U-56 aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr.
  • [45]Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (Skl), aao.
  • [46]Die von Clerque gewählte Bootsnummer U 81 ist, wie alles andere, reine Fantasie. Die „echte“ U 81 wurde erst am 26.4.1941 in Dienst gestellt. Vgl. Wikipedia, abgefragt am 2.9.2023.
  • [47]Clerque aao, Seite 301/302.
  • [48]Vgl. wikipedia über Dönitz, und seinen „Laconia-Befehl“, abgerufen am 10.9.2023.
  • [49]Jochen Brennecke, „Jäger, Gejagte. Deutsche U-Boote 1939-1945“, Koehlers Verlagsgesellschaft, Herford 1956. Hier 8. Auflage, Hamburg 2000, Seite 80.
  • [50]Nazi-Propagandamister Joseph Goebbels hielt seine Rede zum „Totalen Krieg“ erst am 18.2.1943.
  • [51]Clerque aao, Seite 305.
  • [52]Clerque aao, Seite 129.
  • [53]Clerque aao, Seite 6.
  • [54]Clerque aao. Seite 7.
  • [55]Hitler benutzte als Anlass für den Beginn des 2. Weltkrieges einen angeblichen polnischen Angriff auf den Sender Gleiwitz, der jedoch von SS in polnischen Uniformen verübt wurde, um einen Kriegsgrund zu provozieren.
  • [56]Clerque aao., Seite 267.
  • [57]Nominal Roll“ der Dunera, National Archives of Australia (NAA), ID 657104, abgerufen am 30.8.2023. Viele Nummern der 251 Deutschen von der Arandora Star sind mit einem zusätzlichen „R“ für „Ringleader“ (Rädelsführer) versehen.
  • [58]Clerque aao, Seite 269.
  • [59]NAA-Akte Haslinger, NAA_ItemNumber428433, Blatt 11.
  • [60]Clerque aao, Seite 307f.
  • [61]Der Nazi-Diplomat Kittel war in Kapstadt von Bord geholt worden.
  • [62]„Nominal Roll“ der Dunera, National Archives of Australia (NAA), ID 657104.
  • [63]Clerque aao, Seite 312f.
  • [64]Clerque aao, Seite 315.
  • [65]Vgl. die digitalisierten Personalakten im NAA.
  • [66]Clerque aao, Seite 317.
  • [67]Clerque aao, Seite 291.
  • [68]Wikipedia verweist zu „Der Landser“ u.a. auf ideologiekritische Aspekte, abgerufen am 25.6.2023.
  • [69]Ernst Antoni in Dirk Wilking „Der Landser“ – Wie ein Mann ein Mann wird, S. 61ff.
  • [70]Wikipedia über Jochen Brennecke, abgerufen am 25.6.2023.
  • [71]Brennecke aao., Seite 454. Brennecke zitiert ohne die erforderliche Nennung des 6. Oktober 1946, wie er generell auf jegliche Quellennennung verzichtet.
  • [72]Gegründet als Nordwestdeutsche Presse- u. Buchvertrieb GmbH., später Erich Arndt Verlag, Hagen; danach Umzug nach Karlsruhe. Zuletzt: Angelika Arndt Verlag, Feucht.
  • [73]Vgl. u.a. Romanheftarchiv, abgerufen am 25.6.2023.
  • [74]Vgl. Wikipedia über „Soldatengeschichten aus aller Welt“ und Folgetitel, abgefragt am 25.10.2023.
  • [75]Vgl. Wikipedia über „U 47 Kapitänleutnant Prien“, abgefragt am 25.10.2023.
  • [76]„Lexikon des internationalen Films“, Band 8, Seite 3917.
  • [77]Die FSK, wurde 1949 gegründet, um statt der in der Bundesrepublik die verbotenen Filmzensur eine Einrichtung der Branche "für den Jugendschutz" zu etablieren.
  • [78]Daniel R. Schwartz aao., Seiten 722-773.
  • [79]Vgl. DNB-Katalog, abgefragt am 30.6.2023.
  • [80]Deutsche Nationalbibliothek über Pflichtexemplare, abgerufen am 10.9.2023.
  • [81]Wikipedia über „SOS – Schicksale deutscher Schiffe“, abgerufen am 10.9.2023.
  • [82]Schwartz aao. Seite 752, beruft sich auf ein Schreiben von Arndt an den führenden SPD-Politiker Erich Ollenhauer.
  • [83]Brennecke aao, Seite 5.
  • [84]Zit. nach Benzion Patkin „The Dunera Internees“, Stanmore NSW 1979, Seite 43f.
  • [85]Erika von Wietersheim „Nur 24 Zeilen“, Hamburg 2017, Seite 97f.
  • [86]David Rosenthal bei LinkedIn: „The Miracle of the Dunera“ vom 26.4.2020, abgerufen am 24.9.2023; vgl. Clerque aao., S. 305.
  • [87]Ira Baumann „The Dunera Boys“, erschienen am 5.5.2016 in Jewish Link, abgerufen am 25.9.2023.
  • [88]Hans Marcus, „The U-Boat Commander and the Dunera“ in „Dunera News“ Nr. 12, May/June 1987, S. 14.
  • [89]Kriegstagebuch der U-56 aao, Eintrag vom 12.7.1940, 9.40 Uhr.

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