Dunera

Die Reise der Dunera
Teil 5

Als Kommandant der Wachmannschaften hatte Oberstleutnant William Patrick Scott eine besondere Verantwortung an Bord der HMT Dunera. Eine Vielzahl von Dokumenten zeigt, mit welcher Rücksichtslosigkeit und Arroganz er gegen die ihm anvertrauten 2.500 Menschen vorging. Kein Wunder, dass er sich veranlasst sah, sich gegenüber seinen Vorgesetzten gegen die massiven Beschwerden der Internierten zu verteidigen. Ein anderes Schreiben dokumentiert seinen Antisemitismus und seine Nazi-Freundlichkeit. Eine Pressekonferenz in Sydney nutzte er, um Lügen zu verbreiten.

Text und Übersetzungen: Peter Dehn, im Februar 2024.

Unter dem Befehl eines Antisemiten

Bei einer Besichtigung der Dunera in Fremantle hatten australische Mediziner und Armeeoffiziere Scott wegen des Zustandes der Internierten und ihres Gepäcks befragt. Scott sah sich nun zu einer Reaktion veranlasst und beantwortet eine Anfrage australischer Stellen vom 31. August 1940. Auf dem Weg von Fremantle nach Melbourne schickt er ein Funktelegramm[1] W.P. Scott, Funkspruch an Prisoners of War Information Bureau der australischen Armee. Zit. nach Paul B. Bartrop, Gabrielle Eisen,“ The Dunera Affair. A Documentary Ressource Book“, Melbourne 1990, Seite 52/53. an die für Kriegsgefangene zuständige Abteilung der australischen Armee, um sich in bestem Licht darzustellen.

Umfangreich rechtfertigt er das durch das beschlagnahmte und nicht beschriftete Gepäck verursachte bevorstehende Chaos: Den australischen Behörden werde es in Sydney „ein Leichtes sein, das Gepäck nach der Identifizierung durch die Internierten zu verteilen“ und den Rest nach Melbourne (zu den dort vorher an Land gesetzten Internierten) zu schicken, schiebt er die Aufräum-Arbeit von sich.

Die australischen Behörden bittet er dreist, ihn bei den britischen Stellen zu unterstützen, „dass sie unter keinen Umständen zulassen dürfen, dass Internierte mehr als einen Seesack pro Kopf haben“. Wertsachen sollen ihnen weggenommen werden, „wofür eine Quittung verlangt werden dürfe“, schlägt er zynisch vor. Dennoch sei das Verschwinden von Wertsachen sei unvermeidlich.

Dann zeigt W.P. Scott seine antisemitische und nazifreundliche Haltung. Über die Gruppen der Internierten informiert er die Australier so:

Die Nazis habe er bereits vor der Abreise davor gewarnt, Probleme zu verursachen. „Ihr Verhalten war vorbildlich, sie sind von feiner Art, ehrlich und geradlinig und äußerst diszipliniert. Ich bin jedoch bereit zuzugeben, dass sie sehr gefährlich sind.“
Die Italiener: „Diese Gruppe ist in ihren Gewohnheiten schmutzig, hat nicht den geringsten Anflug von Disziplin und ist in gewissem Maße feige.“
Die Juden : „Kann man nur als subversive Lügner, anspruchsvoll und arrogant bezeichnen, und ich habe Schritte unternommen, um sie auf meine Linie zu bringen. Sie zitieren jede Person, vom Premierminister bis zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, als persönliche Referenz und man kann ihnen weder in Wort noch in Tat trauen.“

„Es kam zu keinen Brutalitäten“

Nachdem die letzten Internierten in Sydney von Bord gegangen war, setzte die Dunera ihre Reise fort. Offenbar haben die Ereignisse in der Heimat bereits Kreise gezogen. Scott verteidigt sich gegenüber seinen Vorgesetzten. Am 19. September 1940 funkt er von See aus an Colonel Robertson[2] Scott an Robertson am 19.9.1940. Zit.n. Dunera News Nr. 30, Seite 22, abgerufen am 17.5.2023. vom britischen Kriegsministerium. Der hier dokumentierte Brief zeigt, wie weit die Unverfrorenheit reicht.

Sir,

vom australischen Militär Hauptquartier Southern Command liegt mir die Information vor, dass bestimmte Beschwerden von jüdischen Anwälten unter den Internierten im Camp Hay vorgetragen wurden.

Wir können diese Beschwerden unter den folgenden Überschriften behandeln:

1. Brutalität an Bord
2. Durchsuchung von Gepäck
3. Verlust von Geld.

1. Ich hatte Ihnen in früheren Berichten mitgeteilt, dass diese Internierten undiszipliniert, streitlustig und fordernd waren und zwangsläufig zur Ordnung gerufen werden mussten. Wie auch immer kam es zu keinen Brutalitäten. Die einzige Härte, die Säumige zu ertragen hatten war die Haft in den Zellen bei einer Diät von Brot und Wasser.

Hinsichtlich 2 waren Internierte, wie bereits beschrieben, verlaust und „von Krabben“ geritten. Um dieses Problem anzupacken und (weil) es keine Schlüssel für das vorhandene Gepäck gab, musste das aufgesprengt werden, um Kleidung, Bettwäsche usw. zu beschaffen. Das geschah auch, als das Wetter sich verschlechterte mit Anzügen und Mänteln.

Hinsichtlich 3 wurden mir häufige Fälle von Bestechung der Schiffsmannschaft und anderer bekannt. Ich organisierte Durchsuchungen bei drei Gelegenheiten und war völlig überrascht, überhaupt irgendein Anzeichen von Geld vorzufinden. Während der Ausschiffung in Sydney übernahm ich es persönlich, das Packen der Sachen durch die Internierten zu beobachten und sah einen Mann auf den Kai gehen mit einem großen Bündel von Banknoten von bis zu 200 Pfund. Weiterhin, bei einer Durchsuchung in Internierungslagern, wurde ich informiert, dass 575 Pfund bei Italienern und 40 Pfund bei Nazis entdeckt wurden. Ich habe noch keine Zahlen erhalten, die sich auf die hebräischen Internierten beziehen, könnte mir aber vorstellen, dass es bis zu 1.000 Pfund sein können.

Ich weise entschieden die Implikationen dieser jüdischen Anwälte zurück, dass Soldaten unter meinem Kommando gewalttätig oder räuberisch gewesen sind und stelle fest, dass solche Beschwerden in diesen Zeiten des Stresses nicht ignoriert, sondern notwendigerweise unterdrückt werden sollten.

Ich habe die Ehre, Sir, Ihr gehorsamer Diener zu sein.

Der englische Originaltext wurde 1994 im Newsletter Nr.30 der Dunera Association veröffentlicht (klickbar).

Vor Internierten und Journalisten

Die Deckleader – die Vertreter der Internierten – notierten Folgendes über eine Besprechung mit Scott, die am 20. August 1940 stattfand: „Dr. Pick, Ich warne Sie. Meine Offiziere haben sich beschwert, dass sie ihnen hinterherrennen mit Fragen, Anträgen, Beschwerden[3] „Exibit. Verbal Statements List to internees made by the Commandant Lt.-Col. W.P. Scott …“. Notizen der Deckleader über ihre Kontakte mit Oberstleutnant Scott, Nationalarchiv Australien NAA_ItemNumber216013, Seite 310.. Wenn Sie das nicht beenden, muss ich entscheiden, welche Maßnahmen ich gegen Sie unternehme.“ So wird deutlich, welche Stimmung der Einschüchterung und Bedrohung Scott an Bord schaffen wollte.

Eine weitere Begebenheit zeigt, wie Scott nach Außen agierte. Während er seinen Untergebenen für ihre Landgänge in Australien ein Redeverbot[4] Tagesbefehl von Lt.-Col. Scott, 29.1940, NAA_ItemNumber411713, Seite 21. befohlen hatte, präsentierte er selbst sich am 6. September 1940 in Sydney während einer Pressekonferenz mit dreisten Lügen. Medienvertreter, darunter Journalisten das „Sydney Morning Herald[5] „The Sydney Morning Herald“ am 7.9.1940.“, die weitab vom Kriegsgeschehen nach Informationen gierten, zitierten ihn unwidersprochen. Nicht zuletzt auch, weil – aus gutem Grund – gar kein Internierter anwesend war. Den Zeitungslesern Sydneys wurde mitgeteilt:

„Die Internierten wurden besser ernährt als jede britische Einheit ernährt wird.“
Tatsache ist:
„Die täglichen Lebensmittel[6] Vgl. Dunera Association, Homepage, abgerufen am 17.9.2023. bestanden aus geräuchertem Fisch, Wurst, Kartoffeln und einem Löffel Melone und Zitronenmarmelade auf Brot, das üblicherweise madig war, und ranziger Butter.“

„Es wurde erklärt, dass Hitler arrangierte, dass jeder der Männer beim Eintreffen in Australien 2 Pfund erhält. Zwei Internierte weigerten sich diesen Bonus zu akzeptieren und sagten, dass das in einen Fonds für den Ankauf von Spitfires für England gezahlt werden soll.“
Tatsache ist: Abgesehen davon, dass die „2 Pfund“-Geschichte gelogen war, hatte Nazi-Deutschland allen Juden 1938 die Staatsbürgerschaft aberkannt. 1943 erklärte das Nazi-Außenministerium, man wolle einer nicht genannten Zahl Deutscher ein „Weihnachtsgeld“ von insgesamt 7.200 Dollar[7] Schweizer Gesandtschaft an das Foreign Office am 10.12.1943. NAA_ItemNumber216020, Seite 12f. schicken. Nachdem die Internierungen Mitte 1942 geendet hatten, konnte das aus dem Kreis der Deportierten der Dunera nur weniger als 250 Männer betreffen, die in Berlin als Kriegsgefangene waren.

„‘Wir haben drei Männer während der Reise verloren. Einen durch einen Unfall und zwei durch natürliche Ursachen‘, sagte Colonel Scott.“
Tatsache ist,
dass der Äußerung Scotts im gleichen Artikel widersprochen wird: Dort ist zurecht von einem Selbstmord die Rede. „Jacob Weiss beging Selbstmord, indem er über Bord sprang.“ Er war verzweifelt, weil sein Pass und sein Visum für Argentinien von Wachsoldaten über Bord geworfen wurde. Der Österreicher Hans Pfeffen starb wegen des Mangels an Antibiotika an den Folgen einer Grippe. „Verloren“ ging auch der Nazi-Diplomat Wolfgang Kittel[8] Vgl. Recherche für eine Biografie W. Kittel, dunera.de, unveröffentlicht., der in Kapstadt von Bord geholt und später ausgetauscht wurde.

„Es wird davon ausgegangen, dass es zwischen den Deutschen und den Italienern beträchtliche Missstimmungen gab, die zeitweise in aktive Feindseligkeit ausarteten“, wurde den Journalisten mitgeteilt.
Tatsache ist, dass keinerlei gewalttätige Übergriffe „zwischen den Deutschen und den Italienern“ bekannt sind.

Der Bericht des „Sydney Morning Herald“ vom 7. September 1940 über die Pressekonferenz zum Eintreffen der Dunera in Sydney.

Vor dem Kriegsgericht

„Im Juli 1940 wurde er (Scott) für seinen Kommandoposten auf der Dunera zum Oberstleutnant ernannt. Nachdem er sein Kommando mit Wirkung vom 8. Oktober 1940 aufgegeben hatte, kehrte er in den Rang eines Majors zurück.“, erklärte Kriegsminister David Margesson[9] Kriegsminister David Margesson, im Unterhaus am 14.10.1941, abgefragt am 17.7.2023. im britischen Unterhaus. Es handelte sich also eindeutig um keine Degradierung, sondern um einen für den Dunera-Job laut Nomenklatur erforderlichen Dienstgrad.

„Major Scott wurde aufgrund von zwei Anklagen[10] Ebenda. gemäß Abschnitt 40 des Armeegesetzes wegen eines Verhaltens, das die gute Ordnung und die militärische Disziplin beeinträchtigt, vor ein Kriegsgericht gestellt. In der ersten Anklage wurde ihm vorgeworfen, er habe sich in unangemessener Weise an die ihm unterstellten Truppen gewandt und dabei den Eindruck erweckt, dass er von den Diebstählen von Gegenständen, die Internierten gehörten, wusste und diese billigte. Der zweite Vorwurf lautete, er habe es versäumt, für eine ordnungsgemäße Untersuchung des Vorfalls zu sorgen, da er begründeten Anlass zu der Annahme hatte, dass ein internierter Ausländer in der Obhut der ihm unterstellten Militärangehörigen mit Gewalt oder Vernachlässigung behandelt worden war. In der ersten Anklage wurde er freigesprochen, in der zweiten jedoch für schuldig befunden.“ Seine Strafe[11] Wikipedia (engl.) über die Dunera-Reise, abgerufen am 18.7.2023.: „Er wurde ernsthaft ermahnt“.

Der bekannteste Täter aus der Wacheinheit des vom Auxiliary Military Pioneer Corps, Lieutenant John O’Neill, wurde nicht einmal angeklagt. Als Zeuge durfte er seine angeklagten Kumpane vor Gericht entlasten. Internierte wurden von den Militärjuristen nicht zur Kenntnis genommen. Verfahren und Urteile des Militärgerichts waren also kaum sachorientiert, sondern dienten wesentlich der Weißwäsche der britischen Armee.

Fußnoten

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  • [1]W.P. Scott, Funkspruch an Prisoners of War Information Bureau der australischen Armee. Zit. nach Paul B. Bartrop, Gabrielle Eisen,“ The Dunera Affair. A Documentary Ressource Book“, Melbourne 1990, Seite 52/53.
  • [2]Scott an Robertson am 19.9.1940. Zit.n. Dunera News Nr. 30, Seite 22, abgerufen am 17.5.2023.
  • [3]„Exibit. Verbal Statements List to internees made by the Commandant Lt.-Col. W.P. Scott …“. Notizen der Deckleader über ihre Kontakte mit Oberstleutnant Scott, Nationalarchiv Australien NAA_ItemNumber216013, Seite 310.
  • [4]Tagesbefehl von Lt.-Col. Scott, 29.1940, NAA_ItemNumber411713, Seite 21.
  • [5]„The Sydney Morning Herald“ am 7.9.1940.
  • [6]Vgl. Dunera Association, Homepage, abgerufen am 17.9.2023.
  • [7]Schweizer Gesandtschaft an das Foreign Office am 10.12.1943. NAA_ItemNumber216020, Seite 12f.
  • [8]Vgl. Recherche für eine Biografie W. Kittel, dunera.de, unveröffentlicht.
  • [9]Kriegsminister David Margesson, im Unterhaus am 14.10.1941, abgefragt am 17.7.2023.
  • [10]Ebenda.
  • [11]Wikipedia (engl.) über die Dunera-Reise, abgerufen am 18.7.2023.

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